Kampf gegen Desinformationen bei den Wahlen in Kenia

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Virginia Kirst

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Dieser Beitrag ist Teil unserer Serie Perspectives, in der wir gute Beispiele im Umgang mit Desinformation aus allen Ecken der Welt präsentieren. Alle Inhalte zu Serie gibt es hier.


Ein breites Bündnis hat sich im Vorfeld der kenianischen Wahlen 2022 zusammengetan, um für einen friedlichen Ablauf zu sorgen. Deren Strategie: Digitale Hassrede und Desinformation einzuschränken, um zu verhindern, dass sie in reale Gewalt mündet. Sie wurde ein Erfolg: Die Wahl gilt als eine der friedlichsten bisher.

Seit 2007 fürchten Kenianer:innen Gewalt und Blutvergießen, wenn Wahlen anstehen. Denn damals waren nach den Präsidentschaftswahlen Unruhen mit schrecklichen Folgen ausgebrochen: 1.300 Menschen wurden getötet und fast 70.000 aus ihrer Heimat vertrieben. Die Erinnerungen an diese Zeit prägen das Leben vieler Kenianer:innen. Bis heute fürchten sie bei jedem neuen Urnengang erneute Auseinandersetzungen. Besonders, wenn über Kandidaten abgestimmt wird, die im Verdacht stehen, schon in der Vergangenheit zu Gewalt aufgewiegelt zu haben.

Die Vorzeichen für die Parlamentswahl im August 2022 standen also denkbar schlecht: Denn die beiden wichtigsten Präsidentschaftskandidaten Raila Odinga und William Ruto hatten bereits 2007 an der Wahl teilgenommen – damals allerdings noch auf derselben Seite. Nun traten sie gegeneinander an. Und die Bürger fürchteten Ausschreitungen. Auch weil es bei Wahlen in Kenia nicht vorrangig um die politische Agenda der Kandidaten geht, sondern um ihre ethnische Zugehörigkeit: Ein Wahlsieg bedeutet Geld und Einfluss, die die Präsidenten bisher stets in Richtung ihrer Familien und Ethnien zu lenken wussten.

Die Wahlen in Kenia 2022 – und die Bedeutung des digitalen Raums

Doch in den Tagen nach der Wahl gab es gute Nachrichten aus Kenia: Obwohl Ruto sich mit 50,49 Prozent nur eine denkbar knappe Mehrheit sichern konnte, verliefen die Wahlen so friedlich wie noch nie zuvor in der Geschichte des jungen Landes. Zwar gab es wegen des engen Ausgangs erhebliche Spannungen und Verlierer Odinga focht das Ergebnis vor Gericht an. Doch die befürchtete Explosion der Gewalt blieb aus.

Einen Anteil an diesem weitgehend friedlichen Verlauf hatte ein breites Bündnis nationaler und internationaler Akteur:innen, das den Kampf gegen Desinformation und Hassrede im digitalen Raum im Umfeld der Wahlen aufgenommen hatte. Denn der Einfluss des Internets in Kenia – und vor allem jener weit verbreiteten sozialen Netzwerke Facebook, Twitter und Instagram – nimmt stetig zu: So beeinträchtigten Desinformationen und unabsichtliche Falschinformationen im Internet bereits 2017 die Meinungsbildung der Bürger:innen im Umfeld der Parlamentswahl. Und seitdem haben noch mehr Kenianer:innen Zugang zum Internet bekommen: Im Wahljahr 2022 waren rund 42 Prozent der 57 Millionen Bürger:innen online und rund die Hälfe von ihnen nutzte soziale Medien. Die ethnischen Konflikte verlagerten sich daher ins Netz.

Versuchte Wahlbeeinflussung und die Rolle der Plattformen

Das Bündnis entwickelte darum eine Strategie, um die digitale Desinformation einzudämmen und zu verhindern, dass sie zu realer Gewalt wird. Sie sah vor, Desinformation und Hassrede auf den wichtigsten Plattformen zu überwachen und in Berichten zusammenzufassen. Diese Berichte wurden mit der kenianischen Regierung und den Plattformbetreiber:innen geteilt. Die Hoffnung war, dass so Beiträge, die zu direkt zu Gewalt aufrufen, oder Desinformation, die zu Gewalt führen kann, aus den sozialen Medien gelöscht werden würden.

Ein Beispiel aus der Wahlkampagne, in dem sich Hassrede mit Desinformation überkreuzten, war ein manipuliertes Video: Darin bedrohte der amtierende Präsident vermeintlich eine ethische Minderheit und forderte sie auf, ihr Zuhause zu verlassen. Doch nach dem kenianischen Wahlsystem kann man nur wählen, wo man registriert ist. Der Zweck des Videos war also, die Gruppe einzuschüchtern, damit sie nicht an der Wahl teilnehmen könnte. Gleichzeitig stachelte sie zum Hass gegen die Minderheit an. Videos wie dieses, die sich online blitzschnell verbreiten können, versuchte das Bündnis löschen zu lassen, damit sie keinen negativen Effekt auf die Wahlen haben würden.

Doch die Zusammenarbeit mit den Plattformen, allen voran Meta, dem Unternehmen hinter Facebook, Instagram und WhatsApp, war nicht immer einfach: War Meta im Juni und Juli noch ansprechbar und hilfsbereit, wurde die Zusammenarbeit zusehends schwieriger, bis sie im Wahlmonat August fast unmöglich wurde. Was das Anti-Desinformationsbündnis von der gescheiteren Zusammenarbeit mit Meta berichtet, wäre im europäischen Kontext unvorstellbar: So hörten die Mitarbeiter:innen auf, auf die Anfragen des Bündnisses zu antworten, als diese stark zunahmen. Grund dafür war die chronische Unterbesetzung des Moderations-Teams vom Meta.

Unzureichende Inhaltsmoderation

Dieses Problem existiert nicht nur im Umfeld der Wahlen: Aktivist:innen für digitale Rechte beschuldigen das Unternehmen schon länger, seine Inhalte auf dem afrikanischen Kontinent im Vergleich zu reicheren Kontinenten völlig unzureichend zu moderieren. Das liegt wohl vor allem daran, dass Meta in den afrikanischen Ländern bisher keine oder nur wenige Konsequenzen fürchten muss, wenn durch die Inhalte auf seinen Plattformen Schaden entsteht. Denn es gibt entweder keine oder nur unzureichende Gesetze, die das Unternehmen zur Rechenschaft ziehen.

Dass Meta selbst kein Interesse daran hat, für eine bessere Moderation zu sorgen, dürfte daran liegen, dass es in Afrika deutlich weniger Geld verdient als im Rest der Welt. So entfielen von den rund 29 Milliarden US-Dollar Umsatz, die Meta im 1. Quartal 2023 weltweit gemacht hat, weniger als zehn Prozent auf Afrika. Hinzu kommt, dass der komplexe regionale Kontext mit den verschiedenen Ethnien und der großen sprachlichen Vielfalt besonders hohe Investitionen erforderlich machen würde, die Meta offensichtlich nicht bereit ist, zu tätigen – auch dann nicht, wenn im Umfeld der Wahlen Gewaltausbrüche drohen.

Zu einem Zeitpunkt während des Wahlkampfs, als die Plattformen von Falsch- und Desinformation überschwemmt gewesen waren und Meta unerreichbar schien, erwog die kenianische Regierung gar, Facebook in den Tagen vor der Wahl komplett abschalten zu lassen. Kein undenkbarer Vorgang: Die ugandische Regierung hatte im Umfeld der Wahlen im Land das gleiche getan.

Ein erfolgreiches Friedensbündnis

Doch die Bündnispartner:innen aus der Zivilgesellschaft sorgten dafür, dass es nicht zu diesem Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung kam und erarbeiteten eine alternative, zweigleisige Strategie. Als Meta nicht mehr ausreichend schnell auf die Lösch-Anfragen reagierte, setzten sie einerseits auf sogenannte Friedens-Botschafter:innen – lokale Influencer:innen, die in den sozialen Medien Friedensnachrichten verbreiteten. Etwa, indem sie gezielt Des- oder Falschinformationen richtigstellten oder versuchten, den sozialen Zusammenhalt vor Ort mit positiven Beiträgen zu stärken.

Gleichzeitig arbeitete das Bündnis mit Sicherheitsfirmen zusammen. Ihre Aktionen wurden entsprechend der Überwachung der Sozialen Medien koordiniert: An Orten, an denen es eine Ballung von Hassrede gab, zeigten sie Präsenz und sorgten so dafür, dass der digitale Hass nicht in reale Gewalt umschlug. Außerdem sorgten sie dafür, dass Personen festgenommen wurden, wenn sie zweifelsfrei als Quelle der Hassrede identifiziert werden konnten.

Das Fazit des Bündnisses fällt positiv aus: Ihnen zufolge gab es im Umfeld der kenianischen Wahlen nur zehn Todesopfer, die direkt aus der Hassrede und Desinformation resultierten, die im digitalen Raum stattfanden. Bedenkt man, dass im Umfeld der Wahlen 2017 über 50 Menschen starben und 2022 noch mehr Desinformation und Hassrede im Netz stattfand als fünf Jahre zuvor, kann das Bündnis ihre Arbeit tatsächlich als Erfolg verbuchen. Für die kommende Wahl haben sie sich vorgenommen, früher mit dem Kampf gegen Desinformation zu beginnen und mehr Alliierte zu finden: Menschen etwa, die einen direkten Draht zu den Plattformen haben – und natürlich mehr Influencer:innen, die Friedensnachrichten im Kenia verbreiten.


Virginia Kirst

Virginia Kirst

Freie Journalistin

Ich arbeite als freie Journalistin zwischen Rom und Hamburg. Meine Spezialität ist, die römische Politik zu entwirren und zu zeigen, welche Folgen sie haben wird – für Berlin, Bern, Brüssel und Wien. Als Auslandskorrespondentin schreibe ich Analysen, Berichte, Interviews und Reportagen für Zeitungen, Magazine und Webseiten. Außerdem berichte ich im Live-Fernsehen über aktuelle Ereignisse und werde als Italien-Kennerin ins Fernsehen, ins Radio und zu Podcasts eingeladen.

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