KI und Wahlen: Zwischen Meme-Kultur und politischer Werbung

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Cathleen Berger

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Mit Künstlicher Intelligenz generierte Inhalte, wie Audio-, Video- oder Bilddateien, bestimmten den Wahlkampf rund um die argentinischen Präsidentschaftswahlen 2023. Im Superwahljahr 2024 werden solche KI-generierten Inhalte den digitalen Diskurs weiter – und nachhaltig – verändern. Eine zentrale Herausforderung für Wahlaufsichtsbehörden: denn diese können zwar politische Werbung überprüfen, nicht aber organisch geteilte Inhalte auf sozialen Plattformen. Die Transparenzpflichten und damit die derzeitigen Aufsichtskompetenzen staatlicher Wahlbehörden werden ausgehebelt – nicht nur in Argentinien.

Die Präsidentschaftswahlen in Argentinien 2023: Die ersten KI-Wahlen?

Im November 2023 titelte die New York Times „Is Argentina the First A.I. Election?” – ein Aufmacher, der auch in zahlreichen Gesprächen mit Akteur:innen in Argentinien für viel Diskussionsstoff sorgte. Welche Rolle spielte der Einsatz von KI-generierten Inhalten im Wahlkampf zwischen Sergio Massa und Javier Milei? Wurden so Desinformationskampagnen verbreitet und/oder die Wahl beeinflusst bzw. der Diskurs manipuliert?

Zwei Dinge stechen heraus:

  • Erstens, beide Parteien nutzten KI-Modelle für Bild-, Video- und Audioinhalte – allerdings primär als kreatives Mittel. Die Kandidaten wurden in Filmposter à la Ghostbusters oder Indiana Jones montiert, Cover des New Yorker und Obamas Hope-Kampagne adaptiert. Die Resultate sind bizarr – und unterhaltsam. Sie zahlen auf die Meme-Kultur des Internets ein, machen Spaß und werden dadurch organisch, d.h. freiwillig von Nutzer:innen auf Plattformen geteilt und kommentiert.
  • Zweitens, der Großteil der Inhalte ist klar als „KI-generiert“ gekennzeichnet bzw. so offensichtlich fabriziert, dass keine Täuschung vorliegt. Obwohl die Kandidaten sich auch wechselseitig mithilfe von KI-generierten Videos Worte in den Mund legen, findet die Manipulation offen, nicht versteckt oder koordiniert im Hintergrund statt.

Organisationen wie Chequeado, Contextual und Derechos Digitales verfolgen diese Entwicklungen mit angespannter Aufmerksamkeit – auch weil ein Großteil der Wahlinhalte nicht als politische Werbung geschaltet wird, sondern sich organisch und damit unkontrollierbar auf den sozialen Plattformen verbreitet.

Staatliche Wahlaufsicht greift nur bei politischer Werbung

Die argentinische Wahlaufsichtsbehörde (Cámera Nacional Electoral) soll die Integrität von Wahlen sicherstellen. Sie organisiert und schützt den Wahlprozess und sie kann Transparenz über die Kampagnen-Budgets der Parteien einfordern. Dies umfasst auch politische Werbung auf sozialen Plattformen, d.h. gesponsorte Inhalte, für die die Parteien bezahlen.

Zusätzlich zu politischer Werbung wurden solche Meme-fähigen Inhalte auf Plattformen wie Instagram, Threads, TikTok, X und anderen an den Transparenzauflagen vorbei verbreitet. Nicht jedes Bild mag viral gehen, wenn sich jedoch kostengünstig hunderte herstellen und organisch verbreiten lassen, eröffnen sich Grauzonen der politischen Werbung.

Die Folge: Tools wie Stable Diffusion oder Midjourney senken die Kosten in der Erstellung von politischen Kampagnen (ein Tool statt mehrere:r Designer:innen über Wochen und Monate) und skalieren politisches Marketing weit über die bezahlten Werbespots hinaus. Beides unterwandert die Transparenzpflichten und damit die derzeitigen Aufsichtskompetenzen staatlicher Wahlbehörden – nicht nur in Argentinien.

Was bedeutet das für die Zukunft und künftige Wahlen?

Viele Beobachter:innen in Argentinien betonen, dass politische Botschaften im Präsidentschaftswahlkampf eine untergeordnete Rolle spielten. Das Land befindet sich seit Jahren in einer Krise, 40% Armutsrate, 150% Inflation, Gehälter, die monatlich an die neuen Kurse angepasst werden müssen und wer den Job verliert, kommt im System nicht mehr hinterher.

Der Außenseiter Milei, der noch vor 2 Jahren ein komplett Unbekannter im politischen System war, symbolisiert deshalb Veränderung, eine Abkehr von einer ausweglosen Situation. Sein Programm war nebensächlich. Insofern gab es zwar Desinformationen, ihr Einfluss wird jedoch bezweifelt. Bei den Wahlen in der EU, Indien, den USA wird das anders sein. Hier sind aktuell weniger politische Außenseiter:innen dabei, die Landschaft aufzuräumen; stattdessen werden politische Botschaften bereits jetzt intensiv getestet und zugespitzt.

Wir müssen uns darauf einstellen, dass nicht alle KI-generierten Inhalte gekennzeichnet und auch nicht alle offensichtlich sind – und dass sie in solch einer Masse ausgespielt werden, dass die konstruktive Auseinandersetzung mit politischen Ideen nahezu unmöglich wird. Um das Vertrauen in die Integrität von Wahlen zu sichern, müssen wir deshalb unsere bestehenden staatlichen Aufsichts- und Transparenzmandate kritisch überprüfen und soziale Plattformen weiter und konsequent zur Verantwortung ziehen.

Drei Handlungsoptionen möchte ich besonders hervorherben:

  • Es braucht klare Plattformregeln, die sowohl KI-generierte Inhalte als auch politisch-motivierte Inhalte rund um Wahlperioden kennzeichnen.
  • Der Forschungszugang zu Plattformdaten muss ausgeweitet werden, damit unabhängige Forscher:innen Desinformationskampagnen beobachten, analysieren und Gegenmaßnahmen vorschlagen können.
  • Politische Parteien und Kandidat:innen müssen sich konsequent selbstverpflichten. Wer Inhalte nicht transparent und systematisch kennzeichnet, sollte in seiner/ihrer Sichtbarkeit auf Plattformen eingeschränkt werden.

Cathleen Berger

Cathleen Berger

Co-Lead

Cathleen Bergers berufliche Erfahrung erstreckt sich über verschiedene Sektoren: Wissenschaft, Regierung, Zivilgesellschaft, Unternehmen und Startup. Ihre Arbeit und Forschung konzentrieren sich auf die Schnittstellen zwischen digitalen Technologien, Nachhaltigkeit und sozialer Wirkung. Sie arbeitet derzeit mit der Bertelsmann Stiftung als Co-Leiterin für Upgrade Democracy sowie den Reinhard Mohn Preis 2024 und Senior Expert für Zukunftstechnologien und Nachhaltigkeit. Darüber hinaus, berät und arbeitet sie gelegentlich mit gemeinwohlorientierten Unternehmen und Organisationen an ihren Klima- und sozialen Wirkungsstrategien.

Zuletzt verantwortete sie den B Corporation Zertifizierungsprozess eines jungen Klimastartups, initiierte und leitete Mozillas Nachhaltigkeitsprogramm, arbeitete als Referentin im Koordinierungsstab für Cyber-Außenpolitik im Auswärtigen Amt, als Beraterin mit Global Partners Digital, Forschungsassistentin in der Stiftung Wissenschaft und Politik sowie Gastdozentin an der Friedrich Schiller Universität Jena.

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