„Hoffnung ist ein großes Wort“, Wahlbeobachter Armin Rabitsch über Desinformation und die EU-Wahlen 2024

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Georgia Langton

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Die Verbreitung von Desinformation ist vor allem im Kontext von Wahlen eine Gefahr für unsere Demokratie. Auch Wahlbeobachter:innen verfolgen diese Entwicklung mit Sorge, denn – über 46% der Weltbevölkerung darf dieses Jahr ihre Stimme abgeben. Allein in der Europäischen Union sind dies etwa 366 Millionen Menschen.

Der Politologe Armin Rabitsch hat Wahlen auf der ganzen Welt beobachtet. Im Interview mit Georgia Langton für Upgrade Democracy beleuchtet er wie Desinformation ihn bei seiner Arbeit beschäftigt und worauf es sechs Monate vor den EU-Wahlen ankommt, um diese zu schützen.  

Zur Person: Armin Rabitsch ist Initiator, Mitbegründer und Vorsitzender von Election-Watch.EU. Armin Rabitsch hat mehr als 25 Jahre Erfahrung als Wahl- und Demokratieexperte auf allen fünf Kontinenten, und arbeitete unter anderem für internationale Organisationen (EU, UN, OSZE/ODHIR, IFES). Er erlangte Fachwissen in den Bereichen Menschenrechte auch in der Konflikttransformation und der Risikobewertung von Gewalt bei Wahlen. Er ist Gastdozent am Global Campus of Human Rights. Armin hat einen Doktortitel der Philosophie (Universität Innsbruck/Österreich) und einen LL.M. in internationalem Menschenrechtsrechten (Universität Prag/Tschechien) und ist Coautor mehrerer Publikationen, darunter des UNESCO Practitioners Handbook on Elections in Digital Times.


Hallo Armin, kannst du uns zum Einstieg etwas über deine Organisation Election-Watch.EU erzählen?

Gerne. Unsere zivilgesellschaftliche Organisation besteht im Wesentlichen aus einem Kernteam von fünf Personen, Michael Lidauer, Paul Grohma, Tatyana Hilscher-Bogussevich, Markus Pollack und mir. Wie der Name schon sagt, beobachten wir Wahlen. Unterstützt werden wir von einem Expert:innen-Netzwerk, sogenannten Associated Experts, von 100 bis 150 Personen, die an verschiedenen Aktivitäten mit uns zusammengearbeitet haben. Wir arbeiten EU-weit und haben in jedem EU-Land Ansprechpartner:innen, andere zivilgesellschaftliche Organisationen, und teilweise auch Teams, die sich beispielsweise in Italien, Spanien, Griechenland und Zypern formiert haben.

Wahlen beobachten – wie genau geht das?

Unser Fokus liegt vor allem darauf, die Bereiche zu identifizieren, in denen es Raum für Verbesserungen gibt – insbesondere in Hinblick auf Wahlrecht und Gesetzgebung. Besonders wichtig ist es uns dabei, die Transparenz der Prozesse zu fördern und eine inklusive Partizipation der Bürger:innen zu gewährleisten. Mit geschulten Expert:innen werden Hindernisse oder Probleme bei Wahlprozessen möglichst im Voraus identifiziert und aufgearbeitet. In sogenannten Wahl-Assessment Missionen werden daraus relevante Empfehlungen zur Verbesserung der Wahldurchgänge verfasst und veröffentlicht. In der eigentlichen Wahlbeobachtung schauen wir uns dann speziell die Einhaltung internationaler Standards (wie dem Zivilpakt der Vereinten Nationen) an und dokumentieren etwaige Unregelmäßigkeiten. Wir sind auch daran interessiert, bewährte Praktiken zu identifizieren, während wir auch gezielt nach Verbesserungsmöglichkeiten suchen. Danach folgen Analyse und Veröffentlichung unserer Assessments. Diese dienen nicht nur als Rückmeldung, sondern sollen auch zur Verbesserung, Identifizierung und Vergleichbarkeit von Wahlpraktiken beitragen. Dies hilft auch Desinformation zu Wahlen zu erkennen und darüber aufzuklären. Internationale Normen, die unsere Arbeiten anleiten, sind z.B. die Declaration of Principle for Election Observers von 2005, die von den UN und führenden Wahlbeobachtungsorganisationen verabschiedet wurde. Als Unterzeichner dieser Deklaration und des Verhaltenskodex für Wahlbeobachter:innen, setzen wir uns aktiv für die Legitimität und Anerkennung von unabhängiger Wahlbeobachtung auch in westlichen Demokratien ein.

Ist das Vorgehen immer gleich? Was gilt es bei der Vorbereitung auf die kommende Europawahl zu beachten?

Wir schauen zuerst, was sich seit der EU-Wahl 2019 rechtlich verändert hat. In diesem Jahr spielt die Implementierung des EU Digital Services Act (DSA) deshalb eine besondere Rolle. Wir sind besonders gespannt zu beobachten, welche EU-Mitgliedstaaten bereits konkrete Maßnahmen im Zusammenhang mit dem DSA ergriffen haben und ob sie die notwendige Kapazität besitzen, um die neuen rechtlichen Anforderungen effektiv umzusetzen. Das ist wichtig, weil das Digitale allein aus Gründen der digitalen Teilhabe an demokratischen Prozessen und Diskursen, der Informationsverbreitung und allgemeinen Meinungsbildung immer mitzudenken ist. Die Bekämpfung von Desinformation haben wir in unserer Arbeit deshalb auch schon von Anfang an proaktiv betrieben. Die Europawahl 2019 war da eine große Lehre – schädliche Auswirkungen von Desinformation wurden vor allem durch Manipulationsversuche, etwa aus Russland, Iran oder China bekannt. Ich denke da aber auch an die Desinformationskampagne zur 2020 US-Wahl von Ex-US Präsident Donald Trump, oder den Cambridge Analytica Skandal. Als klar wurde, dass es keine OSZE-Wahlmission zur EU-Wahl geben würde, führte das dazu, dass wir als Election-Watch.EU aktiv wurden.

Und wie habt ihr darauf reagiert?

Wir haben unser Netzwerk an internationalen Wahlbeobachter:innen mobilisiert und eine Wahl-Assessment-Mission auf Freiwilligenbasis in Brüssel und allen damals 28 Mitgliedstaaten organisiert. Dies war eine große Herausforderung, da es so etwas bis dahin noch nie gegeben hat und es wenig vergleichende Forschung zu Wahlen auf europäischer Ebene gibt. Wir haben gemeinsam einen Bericht verfasst und dem Europaparlament unsere Erkenntnisse und Empfehlungen präsentiert. Kritisch haben wir vor allem den Mangel an Social Media-Regulierung vermerkt, welche zu dem Zeitpunkt für die Politik noch nicht allzu relevant war. Wir haben auch Fragen der fehlenden Regulierung von politischen Kampagnen online, personenbezogene online-Werbung und die mangelnde Inklusion von Menschen mit Behinderungen aufgegriffen.

Spannend – was hat sich seitdem getan?

Genau das analysieren wir jetzt. Im Rahmen unserer Wahl-Assessment Mission analysierten wir, wie die EU-Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformation greifen bzw. was sich sechs Monate vor der Wahl in Bezug auf Regulierung verändert hat. Anfang Februar haben wir einen Bericht publiziert, um vorab darauf aufmerksam zu machen, wo es Änderungen und mögliche Schwierigkeiten gibt, und um anzukündigen, dass wir eine Wahlbeobachtungsmission zur Europawahl 2024 europaweit durchführen werden.

Kannst du dazu bereits Erkenntnisse mit uns teilen? Wo siehst du besondere Herausforderungen?

Die Schwierigkeit beginnt mit der Komplexität der Europawahlen. Es gibt keine Wahlbehörde auf europäischer Ebene und nur sehr limitierte europäische Wahlgesetzgebung, die lediglich einen gewissen Rahmen vorgibt, wie etwa Mindestalter und das Recht für Unionsbürger:innen im EU-Staat, wo sie ihren Lebensmittelpunkt haben, abzustimmen. Grundsätzlich sind es aber 27 parallele Wahlen, die von den Mitgliedstaaten durchgeführt werden. Wir versuchen, diese Komplexität in unseren Berichten zu veranschaulichen und aufzuzeigen welche Länder in welchen Bereichen noch Handlungsbedarf haben. In vielen westlichen EU-Staaten fehlt es zudem an einem klaren Rechtsrahmen und der Anerkennung zivilgesellschaftlicher Wahlbeobachtung, was zu Einschränkungen bei unserer Tätigkeit und auch zu Finanzierungsproblemen führt. Da wünschen wir uns mehr Unterstützung auf europäischer Ebene, immerhin ermöglicht zivilgesellschaftliche Wahlbeobachtung die direkte Bürger:innenbeteiligung, und fördert demokratische Reformen, Resilienz und Wahlintegrität.

Wie spiegelt sich das in der Desinformationsbekämpfung? Welche Hoffnungen hast du für die europäische Regulierung?

Der DSA bietet sicher eine progressive Grundlage, mit der sich die EU stärker für Transparenz, Rechenschaftspflichten von online Plattformen und die Unterstützung von Akteur:innen, die gegen Desinformation vorgehen, einsetzen kann. Aber Hoffnung ist ein großes Wort. Denn digitale Aspekte der Transparenz, des Datenschutzes oder der Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen werden weiterhin unzureichend angegangen – trotz Verpflichtungen aus bestehenden internationalen Konventionen, z.B. jener für die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Gibt es denn auch einen Lichtblick?

Die Regulierung und die Durchsetzungsbefugnisse gegenüber den großen Plattformen hat ohne Frage Fortschritte gemacht. Es gibt zudem einige Praktiken, vor allem in den skandinavischen Staaten, die uns erfolgreiche Modelle für Partizipation, Medienkompetenz, Transparenz und Inklusion bieten und europaweit als positive Inspiration dienen sollten.

Dieses Jahr erleben wir außerdem verstärkte Bemühungen seitens der Europäischen Kommission und des Europaparlaments, Informationen zu Desinformation im Zusammenhang mit den Europawahlen aufzubereiten. Wir freuen uns darüber hinaus zu sehen, dass unsere Überzeugungsarbeit und unsere Empfehlungen Früchte tragen und Institutionen sich verstärkt mit Wahlintegrität und Desinformation im Wahlkontext auseinandersetzen. Im Juli 2023 haben wir uns dazu auch im Europaparlament mit Vertreter:innen der wichtigsten europäischen politischen Parteien getroffen, um zu beraten, welche Empfehlungen zur EU-Wahl 2024 sich ein Jahr vor der Wahl noch durchführen lassen und in welchen Bereichen es besondere Herausforderungen oder Zugangsschwierigkeiten gibt. Die Implementierung dieser Empfehlungen und der neuen Gesetzeslage gilt es nun zu forcieren. Dies mit der klaren Hoffnung, dass es bei der Europawahl 2024 eine hohe Wahlbeteiligung geben wird, und diese Wahlen ein weiterer demokratischer Schritt zu einer transparenteren und inklusiveren EU sein werden.

Vielen Dank für diesen spannenden Einblick.


Georgia Langton

Georgia Langton

Junior Projektmanagerin

Georgia Langton arbeitet im Team Upgrade Democracy der Bertelsmann Stiftung als Junior Projektmanagerin. Zuvor unterstützte sie das Recharging Advocacy for Rights in Europe (RARE)-Projekt der Hertie School und der Hungarian und Netherlands Helsinki Committees als Assistentin. Georgia hat 2021 einen Bachelor in Medienwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg absolviert. Zusätzlich studiert sie an der Hertie School den Master of International Affairs mit dem Schwerpunkt Human Rights and Global Governance. Ihr besonderes Interesse widmet sie neben den Bereichen Menschenrechten und Asylpolitik vor allem der Bekämpfung von Desinformationen.

Junior Projektmanagerin

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