Digitaler Wahlkampf im Superwahljahr 2024: Was Plattformen tun, was sie nicht tun und was sie tun sollten

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Cathleen Berger, Charlotte Freihse

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Bis Ende 2024 finden mehr als 70 in der Welt statt, vom 6. – 9. Juni unter anderem in der Europäischen Union. Aber auch in Indien, Südafrika, Russland sowie den Vereinigten Staaten von Amerika gehen die Menschen an die Urnen. Insgesamt betreffen die Wahlen rund 3,6 Milliarden Bürger:innen, also fast die Hälfte der Menschheit. Das klingt erfreulich, sagt indes nichts aus über den Zustand demokratischer Systeme aus, wie allein das Beispiel Russland zeigt. Besorgte Blicke richten sich inzwischen aber auch auf Länder, in denen grundsätzlich von fairen und freien Wahlen auszugehen ist. Befürchtet wird hier, dass Wähler:innen mit ihrer Stimme antidemokratischen Kräften zur Macht verhelfen könnten. Das gilt nicht nur für die USA, wo der Republikaner Donald Trump aus seiner Verachtung demokratischer Institutionen längst kein Hehl mehr macht. Auch in Deutschland – wo etwa in Brandenburg, Thüringen und Sachsen Landtagswahlen anstehen – und in der Europäischen Union lassen Umfragen deutliche Zuwächse für rechtspopulistische und antiliberale Parteien erwarten.

Umso wichtiger wird es, die Demokratie überall dort zu schützen, wo um politische Deutungshoheit gestritten und um Stimmen gekämpft wird – und das ist zunehmend der digitale Raum. Vor allem für jüngere Menschen sind Instagram, TikTok und Co. inzwischen wichtigere Informationsquellen als die etablierten Medien. Problematisch wird es, wenn soziale Medien genutzt werden, um bewusst manipulierte Inhalte und Desinformationen zu streuen. Immerhin sind sich immer mehr Menschen der Problematik bewusst: Die gezielte Verbreitung von Falschinformationen im Netz sehen laut unserer repräsentativen Studie von Ende Februar über 80 Prozent als Gefahr für die Demokratie und den Zusammenhalt an.

Eine resiliente, digitale Öffentlichkeit braucht Regeln

Deswegen ist es entscheidend, die digitale Öffentlichkeit resilienter zu machen. Es braucht Regeln, die einen Missbrauch des Vernetzungsgedankens verhindern, ohne die freie Meinungsbildung einzuschränken. Diesem Anspruch folgt der 2022 von der EU verabschiedete Digital Services Act. Er nimmt digitale Plattformen in die Pflicht, illegale Inhalte zu entfernen und die Grundrechte der Nutzer:innen zu wahren. Nationale Gesetze – in Deutschland das Gesetz über Digitale Dienste– sollen eine Aufsicht über kleinere Online-Dienste mit weniger als 45 Millionen Usern sicherstellen. Die „Very Large Online Platforms“ (VLOPs) wie Google, Facebook, Instagram und TikTok werden hingegen direkt von der EU-Kommission beaufsichtigt.

Der neue gesetzliche Rahmen und ein anhaltender öffentlicher Druck scheinen Wirkung zu zeigen: Die großen Plattformen haben sich auf den ersten Blick proaktiv zum Superwahljahr geäußert. Offenbar wollen sie beweisen, dass sie mögliche Gefährdungen demokratischer Systeme ernstnehmen und bereit sind, Maßnahmen zum Schutz der Wahlen zu ergreifen. Google beispielsweise verweist auf bei vergangenen Wahlen gesammelte Erfahrungen, die man jetzt nutzen würde, um die zum Konzern gehörenden Plattformen, z. B. YouTube gegen Missbrauch abzusichern. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) sollen Inhalte identifiziert und entfernt werden, die gegen die eigenen Richtlinien verstoßen. Ebenso möchte Google Wahlkampftreibende dazu verpflichten, offenzulegen, ob Inhalte von Wahlanzeigen mit KI generiert oder auf andere Weise digital verändert wurden. Zudem bietet der Konzern Kandidierenden und Journalist:innen Unterstützung bei Cyberangriffen an.

Wie Google, arbeitet auch TikTok mit der US-amerikanischen Non-Profit-Organisation Democracy Works sowie mit Faktencheck-Organisationen und offiziellen Wahlkommissionen zusammen. Ziel ist es, via Suchanfrage gut erreichbare Wahlzentren in den USA und in anderen Ländern aufzubauen. Sie sollen Nutzer:innen mit vertrauenswürdigen Informationen etwa zu den Abstimmungsergebnissen versorgen. TikTok setzt zudem auf die Förderung von Medienkompetenz zur Identifizierung von Falschinformationen und KI-generierten Inhalten sowie auf Kennzeichnung solcher Inhalte, die sich durch Faktenchecks als offensichtlich unbelegt erweisen. 

Bei allen Ankündigungen: Plattformen müssen mehr tun

Wie sind solche Maßnahmen zu bewerten? In erster Linie: mit Vorsicht. Trotz mehrerer 100 Ankündigungen der Tech-Plattformen, wie sie schon seit Jahren rund um Wahlen aktiv werden, sind zwei Dinge derzeit unverändert: Zum einen liegt der Fokus der Plattformen auf Nordamerika und Europa, also den für sie wirtschaftlich lukrativen Märkten. Zum anderen fehlt weitestgehend die Transparenz, inwieweit die angekündigten Maßnahmen tatsächlich Wirkung entfalten – oder auch nur umgesetzt werden. Organisationen wie Global Witness und Mozilla haben wiederholt und eindrucksvoll in Experimenten bewiesen, wie leicht beispielsweise die Regeln für politische Werbung umgangen werden können.

Nötig wäre ein Bündel von Maßnahmen, um die Gefahr von Desinformationen auf den großen Digitalplattformen einzudämmen und damit eine faktengestützte politische Willensbildung zu ermöglichen. So müssten Meta, TikTok und Co. gut recherchierte und zuverlässige Informationen hervorheben. Um politische Zensur zu vermeiden, sollten sie allerdings transparent machen, wie glaubwürdige und vertrauenswürdige Informationsquellen identifiziert und gekennzeichnet werden. Zudem sollten die Plattformen ihre Algorithmen und Daten für eine wissenschaftliche Auswertung in allen Ländern der Welt zugänglich machen.  Der Zugang muss einfach, zuverlässig und praktikabel sein, was Datenverarbeitung, -speicherung und -analyse angeht. Nicht zuletzt braucht es einen umfassenden Ansatz für mehr Wahlintegrität. Dafür erweist sich eine Verbindung aus menschlicher Intelligenz und maschinellen Eingriffen am zielführendsten. Regelmäßig veröffentlichte Transparenz-Blogs, eine Bibliothek politischer Werbung oder spezielle Richtlinien zu Prozessen, verfügbaren Ressourcen und Berichtsmechanismen gehen zwar über rechtliche Anforderungen hinaus. Sie können sich jedoch für die Qualität der demokratischen digitalen Öffentlichkeit und ihrer Diskurse nur als nützlich erweisen.

Bild: Dan Dennis auf Unsplash

Cathleen Berger

Cathleen Berger

Co-Lead

Cathleen Bergers berufliche Erfahrung erstreckt sich über verschiedene Sektoren: Wissenschaft, Regierung, Zivilgesellschaft, Unternehmen und Startup. Ihre Arbeit und Forschung konzentrieren sich auf die Schnittstellen zwischen digitalen Technologien, Nachhaltigkeit und sozialer Wirkung. Sie arbeitet derzeit mit der Bertelsmann Stiftung als Co-Leiterin für Upgrade Democracy sowie den Reinhard Mohn Preis 2024 und Senior Expert für Zukunftstechnologien und Nachhaltigkeit. Darüber hinaus, berät und arbeitet sie gelegentlich mit gemeinwohlorientierten Unternehmen und Organisationen an ihren Klima- und sozialen Wirkungsstrategien.

Zuletzt verantwortete sie den B Corporation Zertifizierungsprozess eines jungen Klimastartups, initiierte und leitete Mozillas Nachhaltigkeitsprogramm, arbeitete als Referentin im Koordinierungsstab für Cyber-Außenpolitik im Auswärtigen Amt, als Beraterin mit Global Partners Digital, Forschungsassistentin in der Stiftung Wissenschaft und Politik sowie Gastdozentin an der Friedrich Schiller Universität Jena.

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Charlotte Freihse

Charlotte Freihse

Project Manager

Charlotte Freihse ist Projekt Managerin im Projekt „Upgrade Democracy“ der Bertelsmann Stiftung und beschäftigt sich dort vor allem mit Platform Governance und Desinformation sowie den Auswirkungen digitaler Technologien auf öffentliche Meinungsbildung und Diskurs. Vor ihrer Zeit in der Stiftung war sie freie Mitarbeiterin in der Nachrichtenredaktion des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Parallel dazu war sie Forschungsassistentin im europäischen Forschungsprojekt NETHATE und entwickelte mit der Universität Jena und mit Das NETTZ ein Kategorisierungssystem für Interventionsmaßnahmen gegen online Hassrede. Charlotte hat einen Master in Friedens- und Konfliktforschung mit einem Fokus auf digitalen Technologien in Konflikten sowie Friedensprozessen.
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