Wer Desinformationen erfolgreich begegnen will, muss global vernetzt sein

Cathleen Berger, Charlotte Freihse

Artikel

Desinformationen machen keinen Halt an Ländergrenzen – Gegenmaßnahmen müssen deshalb genauso international und ineinandergreifend aufgestellt sein. Aufbauend auf einer umfassenden, internationalen Recherche leiten wir zentrale Herausforderungen im Umgang mit Desinformation ab und fordern politische Entscheider:innen auf, belastbare, zivilgesellschaftliche Netzwerke stärker zu unterstützen.

Unsere internationale Recherche und die Analysen unserer regionalen Recherchepartner:innen haben eindrücklich aufgezeigt, dass sich die Akteur:innen, die Desinformationen verbreiten, immer stärker professionalisieren – technisch versiert und vernetzt. Es ist eine Desinformationsindustrie entstanden, die über bekannte Akteure hinaus auch durch Angebote von PR- und Marketingagenturen befeuert wird und vulnerable, wirtschaftlich geschwächte Bevölkerungsgruppen als “Tastatur-Krieger:innen” für ihre unlauteren Zwecke rekrutiert.

Wenn sich Agitatoren und Aggressoren professionalisieren, müssen die Protagonist:innen, die sich diesen Kampagnen entgegenstellen, noch viel besser organisiert, koordiniert und nachhaltig aufgestellt sein. An Ideen und Potenzial mangelt es nirgends in der Welt, allein die Strukturen und vorhandenen Ressourcen müssen an die digitale Realität und die damit verbundene Geschwindigkeit angepasst werden. Als Antwort auf die Desinformationsindustrie muss ein Ökosystem aus Protagonist:innen und Strategien stehen, die sektorübergreifend, koordiniert und global agieren – kein Akteur und keine Maßnahme allein kann auf gesunde digitale Diskurse hinwirken.

Was ist: Themen und Verbreitung von Desinformation

Die Analysen aus allen Teilen der Welt verdeutlichen, dass Desinformationen den Nährboden für ihren Einfluss über einen langen Zeitraum bereiten, indem gesellschaftlich kontroverse Themen emotionalisiert oder Menschen durch Nebenschauplätze abgelenkt werden. Der direkte Angriff auf die Integrität von Wahlen, die Vertrauenswürdigkeit demokratischer Institutionen oder die Glaubwürdigkeit einzelner Kandidat:innen sind oft nur der letzte Tropfen auf lang erwärmten, heißen Steinen. Insofern können Wahlen zwar als Katalysator wirken und im Ernstfall beeinflusst werden, Gegenmaßnahmen braucht es jedoch nicht erst dann, sondern kontinuierlich. Vielfältige Methoden, Ansätze und Protagonist:innen müssen ineinandergreifen, um Desinformationskampagnen möglichst jede Angriffsfläche zu vereiteln: Prebunking, Monitoring, Demonetarisierung, Debunking, Regulierung und mehr. Die Toolbox ist und muss vielseitig sein (siehe auch Joachims Beitrag).

Die digitalen Diskursräume, in denen sich Desinformationen verbreiten, sind einerseits global vernetzt und finden weitestgehend auf großen, privatwirtschaftlichen Plattformen wie YouTube, TikTok, Instagram oder WhatsApp statt. Anderseits variieren Nutzungsmuster und Präferenzen zwischen einzelnen Ländern und Regionen teilweise deutlich: So ist LINE fast ausschließlich in Asien verfügbar, TikTok wächst besonders rasant in Europa, in Afrika dominiert WhatsApp und in Lateinamerika ist das Bild gemischt. Diskursräume überschneiden sich und doch nutzen Desinformationskampagnen unterschiedliche Kanäle. Recherchen zeigen die klaffenden Lücken in den Antworten der Plattformen, die zum einen regulative Vorschriften möglichst eng auslegen und zum anderen ihre eigenen Regeln vage und in Form von “copy & paste”-Verfahren für diverse Kontexte anwenden, insbesondere in Ländern, die aus Plattformsicht nicht als lukrative Märkte gelten.

Was wir beobachten: Daten, Kapazitäten, technologische Entwicklungen

Grundlage für unser Verständnis über die Verbreitung und den Einfluss von Desinformation ist die kontinuierliche Beobachtung von Mustern, Akteur:innen und Versuchen von Einflussnahme in digitalen Diskursräumen. Der Datenzugang für Forschungszwecke könnte kaum zentraler sein, um evidenzbasiert Gestaltungsvorschläge und Gegenmaßnahmen für Plattformen zu entwickeln. Jedoch zeigen sich hier eklatante Lücken in der Verlässlichkeit, Vergleichbarkeit und Analyse von Daten und Plattformen, vor allem mit Blick auf außereuropäische Forschung, die nicht vom Gesetz über digitale Dienste abgedeckt ist (für mehr Details, siehe Cathleens Beitrag).

Die Stärke und Resilienz zivilgesellschaftlicher Organisationen sind entscheidend für den Erfolg von Gegenmaßnahmen und die Förderung gesunder Diskursräume. Weltweit wächst das Aufgabenspektrum zivilgesellschaftlicher Protagonist:innen nachweislich – ihre Expertise ist gefragt, wenn es um Regulierung und Plattformaufsicht geht, sie agieren als Fact-Checker:innen, bieten Trainings für Medien- und Digitalkompetenzen, monitoren digitale Diskurse, klären auf, bringen Menschen zusammen und füllen Lücken, wo immer sie zu Tage treten. Ihr Handlungsspielraum schrumpft hingegen – schwindende Ressourcen, politische Unterdrückung, strategische Klagen, gezielte Angriffe und mehr setzen ohnehin stark beanspruchten zivilgesellschaftlichen Protagonist:innen weltweit enorm zu.

Technologische Veränderungen, wie Künstliche Intelligenz (KI), sind aus der digitalisierten Öffentlichkeit nicht mehr wegzudenken. Auch in Wahlkämpfen ist KI mittlerweile ein regulärer Begleiter – und zwar nicht nur für die manipulativen Zwecke von Desinformation, sondern auch als Tool in den Kampagnen von politischen Kandidat:innen. Bestehende Aufsichtsstrukturen, die die Transparenz und Fairness von politischer Werbung sicherstellen, müssen hier vielerorts nachrüsten um adäquate, oftmals rechtliche Antworten auf diese neuen technologischen Entwicklungen bieten zu können.

Was jetzt getan werden muss: Die Politik muss internationale Perspektiven hören und Vernetzung fördern

Damit sich das Feld der Protagonist:innen weltweit genauso erfolgreich professionalisieren kann wie die Desinformationsindustrie, müssen politische Entscheider:innen den fundamentalen Wert von Kooperationsformaten herausstellen. Und fördern.

Die Pflege und Aktivierung von Netzwerken ist zeit- und arbeitsintensiv, das muss sich in bereitgestellten Finanzierungsmitteln und in der öffentlichen Anerkennung widerspiegeln. So müssen Philanthropie und demokratische Regierungen langfristig fördern und auf bestehende Erfolge setzen, statt immer wieder Innovationen und den letzten technologischen Trends in ihren Förderprojekten “hinterherzujagen”. Nicht nur brauchen wir vielseitige, internationale Perspektiven, um kluge politische Entscheidungen im Sinne einer gesunden digitalen Öffentlichkeit zu treffen. Die Resilienz unserer Demokratien hängt von der Resilienz des zivilgesellschaftlichen Engagements ab. Überall in der Welt und im Wechselspiel miteinander.

Tiefergehende Analysen zu den hier angeführten Aspekten wurden in einer Serie aus sieben Berichten veröffentlicht.


Cathleen Berger

Cathleen Berger

Co-Lead

Cathleen Bergers berufliche Erfahrung erstreckt sich über verschiedene Sektoren: Wissenschaft, Regierung, Zivilgesellschaft, Unternehmen und Startup. Ihre Arbeit und Forschung konzentrieren sich auf die Schnittstellen zwischen digitalen Technologien, Nachhaltigkeit und sozialer Wirkung. Sie arbeitet derzeit mit der Bertelsmann Stiftung als Co-Leiterin für Upgrade Democracy sowie den Reinhard Mohn Preis 2024 und Senior Expert für Zukunftstechnologien und Nachhaltigkeit. Darüber hinaus, berät und arbeitet sie gelegentlich mit gemeinwohlorientierten Unternehmen und Organisationen an ihren Klima- und sozialen Wirkungsstrategien.

Zuletzt verantwortete sie den B Corporation Zertifizierungsprozess eines jungen Klimastartups, initiierte und leitete Mozillas Nachhaltigkeitsprogramm, arbeitete als Referentin im Koordinierungsstab für Cyber-Außenpolitik im Auswärtigen Amt, als Beraterin mit Global Partners Digital, Forschungsassistentin in der Stiftung Wissenschaft und Politik sowie Gastdozentin an der Friedrich Schiller Universität Jena.

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Charlotte Freihse

Charlotte Freihse

Project Manager

Charlotte Freihse ist Projekt Managerin im Projekt „Upgrade Democracy“ der Bertelsmann Stiftung und beschäftigt sich dort vor allem mit Platform Governance und Desinformation sowie den Auswirkungen digitaler Technologien auf öffentliche Meinungsbildung und Diskurs. Vor ihrer Zeit in der Stiftung war sie freie Mitarbeiterin in der Nachrichtenredaktion des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Parallel dazu war sie Forschungsassistentin im europäischen Forschungsprojekt NETHATE und entwickelte mit der Universität Jena und mit Das NETTZ ein Kategorisierungssystem für Interventionsmaßnahmen gegen online Hassrede. Charlotte hat einen Master in Friedens- und Konfliktforschung mit einem Fokus auf digitalen Technologien in Konflikten sowie Friedensprozessen.
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