„Wandel der Öffentlichkeit – Risiken für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ – Weimarer Gespräche 2023
Dr. Kai Unzicker
Herausforderungen für die Demokratie
Die Grundpfeiler unserer freiheitlichen Demokratie sind vielfältig – von der gleichen und geheimen Wahl über die Gewaltenteilung bis hin zum Rechtsstaatsprinzip. Doch ebenso entscheidend ist eine lebendige und funktionierende Öffentlichkeit. Eine Öffentlichkeit, in der Debatten blühen, Meinungen geformt und transformiert werden, und in der Politiker:innen und Parteien um das Vertrauen der Bürger:innen werben. In den letzten zwei Jahrzehnten hat diese Öffentlichkeit einen rasanten Wandel erlebt und nicht wenige würden heute konstatieren, die öffentliche Debatte ist im Zuge dieser Veränderungen eher dysfunktionaler geworden. Grund genug dafür, dass sich in diesem Jahr die Weimarer Gespräche dem Wandel der Öffentlichkeit annehmen und der Frage nachgehen, wo darin die Risiken für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Bestand der Demokratie ruhen.
Die Weimarer Gespräche
Die Weimarer Gespräche sind ein Diskussionsforum, das in diesem Jahr zum zweiten Mal von der Deutschen Nationalstiftung in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung, der Stadt Weimar und der Klassik Stiftung Weimar organisiert wird. Ihr Ziel ist es, Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Medien an einen gemeinsamen Tisch zu bringen, um aktuelle gesellschaftspolitische Fragen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten.
Am 31. August 2023 versammelten sich 23 Experten im frisch renovierten Festsaal des historischen Rathauses in Weimar unter dem Titel „Wandel der Öffentlichkeit – Risiken für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ zur Diskussion. Die Teilnehmerliste umfasste herausragende Persönlichkeiten wie den CDU-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag, Prof. Dr. Mario Voigt, die Vorsitzende der Versammlung der Thüringer Medienanstalten, Dr. Ute Zacharias, die Programmgeschäftsführerin von ARD Kultur, Bettina Kasten, und die Abteilungsleiterin für wehrhafte Demokratie, politische Bildung und Prävention im Bundesinnenministerium, Dr. Christiane Schwarte. Nach der Begrüßung durch Weimars Oberbürgermeister Peter Kleine folgten drei lebhafte Diskussionsrunden, die von Dr. Agata Klaus, Geschäftsführerin der Deutschen Nationalstiftung, und mir moderiert wurden.
Politisches Handeln in einer veränderten Medienlandschaft
In der ersten Runde wurden die Herausforderungen einer sich verändernden Medienlandschaft für das politische Handeln beleuchtet. Gleichzeitig wurde auch die Frage aufgeworfen, inwieweit politische Eingriffe zur Gestaltung dieser Medienlandschaft sinnvoll sind. Die politischen Entscheidungsprozesse, insbesondere in Krisenzeiten, werden zunehmend komplexer, während die Informationsvermittlung gleichzeitig auf Vereinfachung angewiesen ist. Dies führt zu einem gesteigerten Bedarf, Politik und ihre Hintergründe zu erklären, jedoch schränken Fehlinformationen die Möglichkeit zur sachlichen Diskussion erheblich ein. In der Diskussion blieb die Frage offen, wie effektiv es für die Politik sein kann, insbesondere den digitalen öffentlichen Raum durch Regulierung zu kontrollieren.
Der Journalismus und seine Zukunft
Die zweite Session konzentrierte sich auf den Zustand des Journalismus, der nicht nur mit erheblichen wirtschaftlichen Herausforderungen konfrontiert ist, sondern auch verstärkt in seiner Rolle als „Vierte Gewalt“ gefragt ist. Die anwesenden Medienvertreter:innen betonten die Notwendigkeit einer starken journalistischen Ethik, die jedoch nicht mit Meinung oder Parteilichkeit verwechselt werden sollte. Stattdessen sollte Journalismus ernsthaft als Verantwortungsträger für die Demokratie, den Rechtsstaat und den gesellschaftlichen Zusammenhalt betrachtet werden. Gleichzeitig müssen jedoch neue Wege gefunden werden, um Qualitätsjournalismus auch in Zukunft zu gewährleisten. Der finanzielle Druck, insbesondere auf Zeitungsverlage, erfordert kreative Lösungen, wie beispielsweise die Zusammenarbeit zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Medien.
Breite Medien- und Demokratiekompetenz
Die dritte Session drehte sich um Medienkompetenz und Demokratiebildung, da nicht nur in der Politik und den Redaktionen, sondern auch in der breiten Bevölkerung eine Anpassung an die neuen Realitäten dringend erforderlich ist. Die Diskutierenden waren sich zwar einig, dass Medienbildung einen zentralen Platz im Schulunterricht einnehmen sollte und Lehrer:innen mehr Qualifizierungsmöglichkeiten erhalten sollten. Es wurde aber auch deutlich, dass der Fokus allein auf jüngere Generationen viele Herausforderungen vernachlässigt. Insbesondere Vertreter:innen der mittleren und älteren Generationen haben Schwierigkeiten mit digitalen Informationsquellen, sind anfälliger für Verschwörungstheorien und sind weniger resilient gegenüber Fehlinformationen.
Mitgestaltung: Unbewusste Entscheidungen bewusst machen
Am Ende der intensiven und zuweilen kontroversen Diskussionen wurde für mich deutlich, dass sowohl das Problembewusstsein als auch die Sorgen in allen Bereichen stark ausgeprägt sind. Einfache Lösungen sind jedoch nicht in Sicht. Dennoch habe ich bei allen Beteiligten erkannt, dass angesichts des hohen Drucks zur Problemlösung die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und die Bereitschaft, neue Wege zu beschreiten, groß sind. Die Veränderungen in der Öffentlichkeit und der Demokratie sind eben keine unabwendbaren Schicksale, sondern vielmehr die Ergebnisse bewusster und unbewusster Entscheidungen. Dies bedeutet, dass es sowohl auf individueller Ebene durch die Überprüfung und Anpassung des eigenen Verhaltens als auch auf politischer, medialer und zivilgesellschaftlicher Ebene durch aktive Mitgestaltung möglich ist, positive Veränderungen .