„Bloggers for Hire“: Desinformation als Geschäftsmodell in Kenia

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Virginia Kirst

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Vor dem Hintergrund der schwierigen Wirtschaftslage in Kenia nimmt bezahlte Desinformation eine zunehmend wichtige Rolle ein. Immer mehr Kenianer:innen lassen sich bezahlen, um im Internet falsche Informationen zu verbreiten – mit negativen Folgen für die öffentliche Meinungsbildung.

Im September vor zwei Jahren stellte der Nutzer @gufydox auf Twitter (jetzt X) eine für die kenianische Twitter-Gemeinschaft entscheidende Frage: „Würdest du ein politisches Hashtag pushen, wenn es dafür gutes Geld gibt?“. 72 Prozent der Antwortenden klickten auf „Ja“, denn: „Der Feind ist die Armut.“

Zwar nahmen nur rund 180 Nutzer:innen an der Umfrage teil, die Antworten sind also keinesfalls belastbar. Doch sie geben die Stimmung in der Online-Gemeinschaft wieder. Damit helfen sie, das Phänomen der Desinformations-Kampagnen zu verstehen. Diese stellen für Kenia ein zunehmend großes Problem dar, wie Tess Wandia, Senior Researcher bei der gemeinnützigen Faktenprüfungsorganisation Africa Check in Nairobi, berichtet.

„Eine Herausforderung, mit der wir bei unserer Faktenprüfungsarbeit konfrontiert sind, ist, dass wegen des wirtschaftlichen Abschwungs immer mehr junge Menschen angeworben werden, um in Blogs und auf sozialen Medien falsche Informationen zu verbreiten“, sagt Wandia. Die Zunahme von Desinformation erschwere ihre Arbeit sowie die ihrer Kolleginnen und Kollegen zuletzt sehr.

 

Informations-Gaslighting vergiftet den Online-Diskurs

Denn das Ziel dieser Kampagnen ist es, die digitale Öffentlichkeit mit einer Masse an Informationen zu überwältigen. Indem sie die sozialen Netzwerke mit Hashtags, Phrasen, falschen Informationen und Bildern fluten, entsteht eine Umgebung, in der niemand mehr weiß, was wahr oder falsch ist. Eine Studie der Mozilla Foundation warnt, dass die Kampagnen so versuchen, „das kritische Denken auszuschalten und die Wahrheit auszulöschen“ – und damit teils Erfolg haben.

Der Think Tank The Stimson Center nennt diese Methode, mit gezielter Desorientierung die Wahrnehmung der Realität zu beeinträchtigen, „Informations-Gaslighting“.

Auch wenn es nicht immer möglich ist, die Initiator:innen dieser Kampagnen eindeutig zu identifizieren, gehen Expert:innen davon aus, dass sie meist von Politiker:innen oder ihrem Umfeld ausgehen. Denn sie profitieren von solchen Kampagnen, weil Politik in Kenia oft mehr mit der Wahrnehmung als mit der Realität zu tun hat.

So berichtete Mary Kulundu, eine Reporterin des Faktenprüfungs-Teams von AFP in einem Artikel der kenianischen Online-Zeitung „The Star“: „Im digitalen Zeitalter wird die Wahrnehmung online geschaffen, da ein großer Teil der Bevölkerung einen Großteil seiner Zeit online verbringt. Und um ihre Zustimmungswerte zu verbessern, nutzen Politikerinnen und Politiker jedes Mittel – auch die Fehlinformation der Öffentlichkeit.“

Daher mieten die Politiker:innen Menschen an, die für sie die falschen Informationen im Netz verbreiten. Das können Influencer:innen sein, die bereits eine große Online-Gefolgschaft haben, teils als „Bloggers for Hire“ – mietbare Blogger:innen – bezeichnet. Es können aber auch Nutzer:innen mit einer kleineren Follower-Zahl sein, die sich zu Desinformations-Netzwerken zusammenschließen und Zweit- und Dritt-Accounts betreiben, mit denen sie die Inhalte weiterverbreiten.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine:r dieser Nutzer:innen 14 zusätzliche Konten betreibt, um den Inhalten mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. So lassen sie das verzerrte Bild entstehen, dass ein Teil der kenianischen Online-Öffentlichkeit die Meinung vertritt, die die Influencer:innen gegen Bezahlung verbreiten. Bei einer erfolgreichen Kampagne winkt ihnen dafür ein Lohn von zehn bis 15 US-Dollar, sodass sie mit dem Verbreiten von falschen Informationen schnell ein Vielfaches des monatlichen Durchschnittseinkommens verdienen können.

 

Von ausländischer zu heimischer Desinformation

Dass diese Aussicht gerade für junge Kenianer:innen sehr verlockend ist, zeigen die Wirtschaftsdaten, denn die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist für sie besonders angespannt. So ist die Arbeitslosigkeit, die während der Pandemie sprunghaft angestiegen war, heute für alle Gruppen stark rückläufig – mit Ausnahme der 15- bis 24-Jährigen.

Die jungen und online-affinen Kenianer:innen sind also gleichzeitig jene, deren Ohren besonders offen für den Ruf der Desinformations-Industrie sind, die es in Kenia bereits seit den Wahlen 2013 gibt.

Damals hatte das umstrittene Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica, das 2016 wegen seiner Beeinflussung der US-Wahlen weltweit Schlagzeilen machen sollte, Kenia zum Versuchslabor für seine digitalen Wahlkampfkampagnen gemacht.

Auf seiner Website beschreibt Cambridge Analytica, wie das Unternehmen 2013 erst die „wahren Bedürfnisse“ (Arbeitsplätze) und „Ängste“ (ethnische Gewalt) der Kenianer und Kenianerinnen sowie ihre „bevorzugten Informationskanäle“ identifizierte, um anschließend seine Kampagnen entsprechen zu gestalten. Mit Erfolg: Cambridge Analytica half 2013 und 2017, den Machterhalt der Jubilee Party zu sichern.

Diese Beeinflussung habe laut Wandia einen dauerhaften Effekt auf die kenianische Desinformation-Kultur: „Seit Cambridge Analytica angeheuert wurde, um die Wahrnehmung der Wähler und Wählerinnen im Internet zu verändern, sind Fehlinformationen alltäglicher geworden“, sagt sie. Und anstatt weiterhin im Ausland nach Personen zu suchen, die sie verbreiten, hätten die Politiker:innen anschließend eben kenianische Blogger:innen für dieselbe Aufgabe bezahlt, so Wandia.

Twitter bzw. X spielt hier eine besonders wichtige Rolle, weil das Netzwerk zentral für den politischen Diskurs ist. Kenianer:innen nutzen es, um dort ihre Meinung auszudrücken und die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen. Um das Hashtag #KOT (Kenyans on Twitter) versammelt sich eine von Afrikas lautesten und aktivsten Internet-Gemeinschaften. Und was auf X geschieht, wird anschließend in anderen wichtigen Netzwerken wie Facebook oder WhatsApp weiterverbreitet.

 

Versagen der Plattform-Betreiber

Gleichzeitig versagen die Betreiber dieser Plattformen darin, gegen die Flut an Desinformationen vorzugehen. Denn obwohl die großen Netzwerk-Betreiber wie Meta und X mittlerweile – auch wegen des Cambridge Analytica Skandals – Strategien haben, wie sie gegen Desinformationen insgesamt und insbesondere im Umfeld von Wahlen vorgehen, kommen sie in Afrika nicht zum Tragen.

Das liegt daran, dass der politische Kontext dort besonders komplex ist und Moderations-Teams entsprechend umfangreich und gut geschult sein müssten. Doch da die Unternehmen in Afrika nur einen Bruchteil ihres weltweiten Umsatzes generieren, investieren sie nicht annähernd ausreichend Geld, um die erfolgreiche Umsetzung ihrer Strategien zu sichern.

Mit verheerenden Resultaten: So berichtet etwa die Aktivistin Jerotich Seii in dem Mozilla-Bericht, dass sie mehr Zeit damit verbringt, sich gegen die Diffamierung durch koordinierte Kampagnen zu wehren, als ihrer eigentlichen Arbeit als Aktivistin nachzugehen. Ein anderer Aktivist reduzierte seine Präsenz bei X deutlich, weil er nicht gegen die Desinformations-Kampagnen ankam. X, einst ein digitaler Ort, an dem sich gesunde, politische Diskussionen entfalten konnten, sei „komplett vergiftet“ worden, so sein Fazit.


Virginia Kirst

Virginia Kirst

Freie Journalistin

Ich arbeite als freie Journalistin zwischen Rom und Hamburg. Meine Spezialität ist, die römische Politik zu entwirren und zu zeigen, welche Folgen sie haben wird – für Berlin, Bern, Brüssel und Wien. Als Auslandskorrespondentin schreibe ich Analysen, Berichte, Interviews und Reportagen für Zeitungen, Magazine und Webseiten. Außerdem berichte ich im Live-Fernsehen über aktuelle Ereignisse und werde als Italien-Kennerin ins Fernsehen, ins Radio und zu Podcasts eingeladen.

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