„Just get off the Internet“ – wie Gendered Disinformation Frauen aus digitalen Diskursen drängt

    Platform Governance

Theresa Scheule

Artikel

Desinformation und Misogynie sind als zentrale gesellschaftliche Probleme jeweils anerkannt. Weniger bekannt ist allerdings ihr Zusammenspiel, das in der Wissenschaft unter dem Begriff „Gendered Disinformation“ oder „Gender-related Disinformation“ gefasst wird. Der Begriff beschreibt Erstellung und Verbreitung von Inhalten, die geschlechtsspezifische Angriffe beinhalten oder geschlechtsspezifische Narrative als Waffe einsetzen, um politische, soziale oder wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Oftmals werden dabei auch sexuelle Inhalte in Form von Bildmanipulation oder Deep Fakes verbreitet. Besonders häufiges Angriffsziel von „Gendered Disinformation“ sind Frauen, die politische Ämter bekleiden oder zum Wahlkampf antreten. In solchen Fällen gibt es meist gezielt organisierte Kampagnen, die sich misogyner Rhetorik und problematischer Geschlechtsstereotypen bedienen. So fand etwa eine Fallstudie der Washington Post heraus, dass Kamala Harris, kurz nach ihrer Nominierung als Vizepräsidentin 2020, Ziel von diversen Falschbehauptungen wurde, die via Twitter über 3000 Mal pro Stunde geteilt wurden. Ähnliche Erfahrungen machen auch Politikerinnen in Europa. So war etwa Außenministerin Annalena Baerbock während ihres Wahlkampfes häufiger von Desinformationen betroffen als ihre Mitbewerber Scholz und Laschet.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Die gezielte Diffamierung von Frauen mit dem Ziel, ihnen so großes Unbehagen zu bereiten, dass sie sich schließlich zurückziehen und verstummen, ist traurige Tradition. Bereits in den 1970- und 80ern wurde mit misogyner Rhetorik, ungewollten sexuellen Avancen und herablassenden Kommentaren versucht, Frauen aus männerdominierten Berufsfeldern zu vertreiben. Auf Social Media haben Täter nun eine noch größere Reichweite und neue Möglichkeiten in einem endlosen Resonanzraum. Eine Ausprägung hiervon nennt sich „Gendered Trolling. Die Besonderheit bei „Gendered Disinformation“ und „Gendered Trolling“: Im Gegensatz zu nicht-geschlechtsbezogenen Angriffen geht es hierbei nicht darum, eine Reaktion zu provozieren – es wird laut Mantilla (2015) aus Überzeugung gehandelt. Sie vertreten erzkonservative Ideologien und sind von ihren Aussagen überzeugt.  Sie greifen Frauen gezielt an, um veraltete Geschlechtshierarchien wiederherzustellen und die Rolle des Mannes als einzig legitimen öffentlichen Akteur zu redefinieren. Marginalisierten Gruppen werden zusätzlich in vielen Fällen rassistisch oder ableistisch beleidigt. Angesichts dieser Bedrohung überrascht es nicht, dass sich 41 Prozent der Frauen zwischen 15 und 29 selbstzensieren, sich aus Diskussionen zurückziehen oder eigene Positionen gar nicht erst vertreten, um Anfeindungen im Internet vorzubeugen.

 

So entsteht ein Teufelskreis: Wenn eine weiblich gelesene oder nicht-binäre Person im digitalen Raum Stellung zu einem (politischen) Thema bezieht, wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Werkzeugen wie Gendered Disinformation, Schmierkampagnen oder Hassrede delegitimiert. Zwar gibt es Gegenbewegungen, sogenannte Counter Speech, doch Personen, die das Problem anerkennen, darauf hinweisen und sich dagegen einsetzen, sind selbst größtenteils weiblich und laufen ergo ebenso Gefahr zur Zielscheibe zu werden. – Dies ist insofern problematisch, als die von Gendered Disinformation betroffenen Bereiche Justiz, Technologie und Politik männlich geprägt sind. Es bräuchte folglich mehr Engagement sowohl von Frauen als auch Männern, um Gegenstrategien zu erarbeiten. Stattdessen erfolgt oft eine Trivialisierung des Problems, indem Betroffene nicht ernst genommen werden und ihnen Ratschläge wie „Geh einfach offline“ erteilt werden. Dadurch wird die Legitimität ihrer Erfahrungen untergraben. Umgekehrt kann gefolgert werden, dass ein Nichternstnehmen der weiblichen Bedenken in gewisser Weise Gender Trolls weiter fördert, da bis dato keinerlei Konsequenzen drohen. Im Gegenteil ist mittlerweile erwiesen, dass etwa der Algorithmus auf TikTok jungen Männern bevorzugt misogynen Content vorschlägt. Durch die großflächige Verbreitung solcher Inhalte wird zu einer Normalisierung offen antifeministischen Contents beigetragen.

Als Folge gehen vermehrt weibliche Perspektiven verloren oder werden unterdrückt. Megarry (2014) befürchtet, dass auf diese Weise eine effektive feministische Bewegung in der digitalen Public Sphere verhindert und die Unterdrückung der Frauen als soziale Klasse weitergeführt werden. Auf jeden Fall ist die Re-Popularisation konservativen Gedankenguts und die stark misogynen Strukturen im digitalen Raum, der einen wesentlichen Anteil des sozialen Lebens ausmacht, mit Sorge zu betrachten. Bleiben Versuche, Frauen aus Diskursen zu verdrängen, weiterhin ohne Konsequenzen für die Akteure, ist mittelfristig weniger demokratische Partizipation zu befürchten.

Eine Lösung für dieses Problem zu finden, ist schwierig. Wegzuschauen oder sich „einfach auszuloggen“ stellen aber auch keine Lösungen dar. Es braucht ein größeres Bewusstsein für das Problem sowie die Bereitschaft, innovative Lösungen zu entwickeln, um zu gewährleisten, dass Frauen nicht aus Angst dem demokratischen Diskurs fernbleiben. Vor allem viele Männer sind aktuell nicht ausreichend informiert oder interessiert, um sich für Besserung einzusetzen. Bestehende Unterstützungsangebote wie „HateAid“ stellen folglich nicht nur wichtige Anlaufstellen für Betroffene dar, sondern können auch eine zentrale Rolle in der Aufklärungsarbeit spielen. Die Angebote sind allerdings noch spärlich gesät. Die Förderung solcher Institutionen könnte das dringend benötigte zivile Engagement verstärken. Klar ist: Veränderung braucht ein Umdenken ­– und das gesamtgesellschaftlich.


Literatur

  • Di Meco, Lucina. 2020. Tackling Online Abuse and Disinformation Targeting Women in Politics. Tackling Online Abuse and Disinformation Targeting Women in Politics – Carnegie Endowment for International Peace
  • Lenhart, Amanda et al. 2016. Online Harrassment, Digital Abuse, And Cyberstalking in America. Online Harassment, Digital Abues, and Cyberstalking in America (datasociety.net)
  • Mantilla, Karla. 2015. Gendertrolling: How Misogyny Went Viral. Santa Barbara: Praeger.
  • Megarry, Jessica. 2014. “Online Incivility or Sexual Harassment? Conceptualising Women’s Experiences in the Digital Age.” Women’s Studies International Forum 47 (Part A): 46–55. doi:10.1016/j.wsif.2014.07.012
  • Sobieraj, Sarah. 2020. Credible Threats: Attacks against Women Online and the Future of Democracy. Oxford: Oxford University Press.
  • Wagner, Angelia. 2020: Tolerating the trolls? Gendered perceptions of online harassment of politicians in Canada. Feminist Media Studies. doi:10.1080/14680777.2020.1749691

Theresa Scheule

Theresa Scheule

Praktikantin

Theresa Scheule ist Praktikantin im Team Upgrade Democracy der Bertelsmann Stiftung. Zuvor sammelte sie bereits Erfahrungen im Journalismus, Public Sector Consulting sowie als Research Assistant. Sie interessiert sich besonders für die Auswirkungen von Desinformation auf demokratische Diskurse und Gender Equality im digitalen Raum. Anfang 2023 hat Theresa ihren Bachelor der Philosophie, Politik & Ökonomik an der Universität Witten/Herdecke abgeschlossen.

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