Prebunking oder Fact-Checking? Ganzheitlichkeit zählt

Dr. Joachim Rother

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So vielfältig Desinformationsstrategien sind, so zahlreich sind die Methoden, ihnen entgegenzutreten. Der Blick in die Welt allerdings zeigt: in der tatsächlichen Anwendung kann von einer Methodenvielfalt nicht die Rede sein. Das muss sich ändern.

Desinformation aus Veles: Eine Kleinstadt erlangt Berühmtheit

2016. Kurz vor den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Donald Trump wird in einigen Monaten US-Präsident. Weit weg davon, experimentieren in der nordmazedonischen Kleinstadt Veles einige Jugendliche mit Websites herum, befüllen diese mit wahllos zusammenkopierten Schlagzeilen großer Medienhäuser und merken: die Artikel werden geklickt. Und zwar ziemlich häufig. Das Modell spricht sich rum. Die Websites werden zahlreicher und professioneller. Einige ähneln nun dem Anschein nach seriösen Nachrichtenportalen. 5-10 Artikel pro Website werden jeden Tag veröffentlicht und obgleich die Mehrheit der Pro-Trump Artikel inhaltlich weder Sinn ergeben noch der Wahrheit entsprechen, verbreiten viele davon sich wie ein Lauffeuer. Mitten aus dem europäischen Nirgendwo wird Einfluss auf die öffentliche Meinung in den USA genommen und im strukturschwachen Nordmazedonien verdienen einige der Jugendlichen damit auf einmal richtig Geld: allein zwischen August und November 2016 über 16.000 US-Dollar durch Google AdSense Auszahlungen. Erst als TheGuardian und Buzzfeed Recherchen veröffentlichen, wonach in der nordmazedonischen Kleinstadt mindestens 100 Websites registriert sind, die Desinformationen zu den US-Wahlen wie am Fließband verbreiten, demonetarisiert Google die Websites. Die Werbeeinnahmen bleiben aus und die Betreiber:innen verlieren das Interesse daran.

Wer bei Desinformationskampagnen an Russland, China oder Iran denkt, wird von den monetären Beweggründen des Beispiels Veles überrascht sein, sind die Beweggründe für die Erstellung und Verbreitung von Desinformation doch äußerst unterschiedlich. Ob gezielte politische Einflussnahme oder rein wirtschaftliches Interesse, Gegenmaßnahmen müssen Wirkungsweisen und den Kontext spezifischer Desinformationsbemühungen in den Blick nehmen, um effektiv Wirkung zu entfalten.

Die Qual der Wahl: Welche Methode ist die richtige?

Der Werkzeugkasten an Gegenmaßnahmen zur Unterbindung von Desinformation ist vielseitig. Auffällig ist allerdings, dass sich die Mehrheit der Methoden erst dann mit der Desinformation auseinandersetzt, wenn sie nur noch schwer wieder einzufangen ist, darunter Fact-Checking oder Debunking.

Anders ist es bei der Methode des Prebunking, bei dem versucht wird, Menschen auf Desinformation oder konkrete irreführende Narrative vorzubereiten, noch bevor sie ihnen begegnen. Ziel ist es, Resilienz durch Sensibilisierung bei den Rezipient:innen zu schaffen und auf diese Weise der Wirkung von Desinformation die Grundlage zu entziehen. Wie eine solche Vorbeugung gegen Desinformation technisch funktionieren kann, zeigt die Google Tochter Jigsaw mit ihren Videokampagnen: dabei werden Videoschnipsel, die eine gezielte Desinformation aufgreifen und vor ihr warnen, als sog. Pre-Rolls vor dem eigentlichen Content ausgespielt. Das Problem: Prebunking ist aufwendig, muss passgenau auf konkrete Themenfelder an Desinformation zugeschnitten sein und die Wirksamkeit ist begrenzt. Laut Studie stieg der Anteil an Personen, die nach dem Betrachten eines Prebunking-Videos manipulative Inhalte erkennen konnten, im Durchschnitt um 5 Prozentpunkte.

Im Gegensatz zu Prebunking setzt Debunking auf die Richtigstellung von Desinformation, wenn sie bereits veröffentlicht ist. Anders als beim Fact-Checking besteht die Stärke des Debunking darin, Inhalte und Quellen in ihren größeren Kontext einzuordnen und Muster aufzuzeigen mit denen Desinformationen in großen Sektorthemen wie Klima oder Gender verbreitet werden. Debunking wird von zahlreichen Projekten weltweit mitunter sehr erfolgreich praktiziert, zum Beispiel durch AltNews (Indien), Mafindo (Indonesien) oder Africa Check (Südafrika). In der Regel werden diese Richtigstellungen dann nach ausführlichen Recherchen in umfassenden Gegendarstellungen veröffentlicht und verbreitet. Damit deuten sich allerdings auch die Herausforderungen dieser Methode an: Debunking ist aufwendig und zeitintensiv und zum Zeitpunkt der Gegendarstellung ist die eigentliche Falschinformation meist schon mehrere Tage alt. Und das, obwohl laut Studie Falschinformationen in den Sozialen Medien 90% ihres Engagements bereits am ersten Tag entfalten – viel zu schnell also, um dem mit Debunking nachzukommen.

Deutlich schnellere Wirkung hingegen können Fact-Checks entfalten, die, teils in wenigen Stunden durchzuführen, deutlich weniger Zeit in Anspruch nehmen. Hierbei werden Aussagen oder Meldungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft und mittels Bestätigung, Korrektur oder Ablehnung bewertet. Fact-Checks fördern die Rechenschaftspflicht von Personen in der Öffentlichkeit und halten dazu an, den Wahrheitsgehalt von Informationen zu prüfen, bevor sie veröffentlicht oder weiterverbreitet werden. Fact-Checks laufen nach journalistischen Standards ab, wie sie beispielsweise das International Fact-Checking Network des Poynter Instituts oder das European Fact-Checking Standards Network definiert hat.

Seit der ersten Kandidatur von Donald Trump 2016 hat sich Fact-Checking zu der weltweit meistgenutzten Methode im Kampf gegen Desinformation entwickelt. Der Fact-Checking Zensus des Duke Reporters‘ Lab hat 2023 über 400 Institutionen weltweit gezählt, die in rund 69 Sprachen in über 100 Ländern der Welt im Fact-Checking aktiv sind. Und auch unsere eigene Internationale Recherche, basierend auf Desktop-Recherche, Expert:innen-Interviews und Workshops auf fünf Kontinenten unterstreicht die Dominanz von Fact-Checking als Methode. Von insgesamt mehr als 230 registrierten Initiativen befassen sich mehr als die Hälfte mehr oder weniger ausführlich mit Fact-Checking.

Trotz dieser guten Beispiele aus aller Welt ist die Wirkung von Fact-Checking Gegenstand großer Diskussionen. Von der mentalen Belastung der Fact-Checker:innen ganz zu schweigen, ist die Menge an Falschinformationen schlicht zu groß, zu langsam sind die Fact-Checks selbst und zu wenig messbare Wirkung entfalten sie. Und ein weiteres Problem rüttelt an der Methode Fact-Checking:  Desinformationsakteur:innen kapern das Tool und veröffentlichen schlicht ihre eigenen „Fact-Checks“. Sich die vertrauenssteigernde Wirkung des Fact-Checking zu Nutze machend, lässt sich politische Polarisierung offenbar deutlich einfacher unters Volk bringen, wie der Fall von CheckYourFact.com zeigte, einem rechtskonservativen Fact-Checking Outlet des ehemaligen Fox News Hosts Tucker Carlson.

Follow the Money!

Sind die Mittel also ausgeschöpft? Stehen wir der Flut an Desinformation demnach machtlos gegenüber? Hoffnung macht, dass der Blick in die internationale Akteurslandschaft Leerstellen offenbart, die es lohnt, genauer zu betrachten. So weist das bereits erwähnte globale Mapping von Anti-Desinformationsinitiativen bei über 200 Einträgen lediglich vier Organisationen (Check My Ads Institute, Global Disinformation Index, Konspirátori, Sleeping Giants Brasilien) aus, die die Methode der Demonetarisierung als primäres Werkzeug im Kampf gegen Desinformation einsetzen.

Das ist insofern bemerkenswert, als dass sich Demonetarisierung im Ansatz grundsätzlich von allen bisher genannten Grundkonzepten unterscheidet, zielt es doch auf den Anreiz, der häufig überhaupt erst zur Verbreitung von Desinformation führt, nämlich das wirtschaftliche Interesse. Werden Social Media Accounts oder Websites als Quellen von Desinformation identifiziert, können Plattformen oder Hosts ihnen den Geldhahn zudrehen, indem sie die Werbeeinnahmen beispielsweise über Google AdSense trockenlegen.

Warum das eine sinnvolle Maßnahme sein kann, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Die NGO Global Disinformation Index hat in einer Studie 20.000 Domains analysiert, die Desinformation verbreiten und rausgefunden: AdTech Firmen haben dort Werbung in einem Wert von 235 Millionen US-Dollar platziert.

In einem System, dessen Erfolg an Klick- und Zugriffszahlen bemessen wird, lässt sich Desinformationscontent vergleichsweise einfach monetarisieren, wie kürzlich ein kollaborativer Artikel des Centre for Media Pluralism and Media Freedom (CMPF) und des European Digital Media Observatory (EDMO) herausgearbeitet hat, denn: diese Art von Content lässt sich schnell und günstig erstellen und er wird von Plattformen häufig priorisiert, weil unter dem Schutz freier Meinungsäußerung über Emotionalisierung, Kontroverse, Clickbait oder Dekontextualisierung hohe Reichweiten generiert werden. Zwar ist das nicht illegal, allerdings können Plattformen entscheiden, Maßnahmen einzuleiten und entsprechende Accounts dafür zu belangen – zum Beispiel, indem sie ihnen die Werbeeinnahmen vorenthalten. Unproblematisch ist das allerdings nicht, zumal wenn Werbeeinnahmen ohne nachvollziehbare Begründungen geblockt werden. Schon 2018 kommt ein Artikel aus der SZ zum Schluss, dass „Demonetarisierung […] das Schreckensgespenst unter den Profi-Youtubern“ sein würde, weil die mangelnde Transparenz derartiger Maßnahmen zum plötzlichen Entzug ganzer Existenzgrundlagen führen könne. Trotz vehementer Forderungen seitens EU-Kommissionsvize Věra Jourová, Demonetarisierungsmaßnahmen plattformseitig zu forcieren, zeigen sich die großen Plattformen aufgrund anhaltender Kritik, auch Seitens ihrer Content-Creator, entsprechend zurückhaltend, Demonetarisierungsmaßnahmen konsequent in die Tat umzusetzen.

Demonetarisierung hat viele Formen: Es braucht öffentlichen Druck

Einige geben sich damit nicht zufrieden. Organisationen wie der Global Disinformation Index (UK), Sleeping Giants (Brasilien) oder Konspiratori (Slovakei) bewerten Websites oder Accounts mit hohen Reichweiten auf ihre Vertrauenswürdigkeit und die Verlässlichkeit der bereitgestellten Informationen. Stehen Accounts oder Websites im Verdacht, Desinformation zu betreiben, wird dies öffentlich gemacht und Werbetreibende oder die Plattformen selbst dazu aufgefordert, dort keine Werbung mehr zu schalten oder die Einnahmen entsprechend zu blockieren. Schließlich möchten die allerwenigstens Marken durch dubiose Werbepartner in Verruf geraten.

Dass diese Methode der Demonetarisierung durch öffentlichen Druck ein durchaus scharfes Schwert ist, zeigt sich am eingangs dargestellten Beispiel der Jugendlichen von Veles eindrücklich: versiegt der Geldstrom, lohnt sich das Bespielen des jeweiligen Kanals häufig nicht mehr. Im Gegensatz zu vielen anderen Methoden geht Demonetarisierung damit über die reine Symptombekämpfung hinaus und kann, sofern erfolgreich, einen zentralen Treiber von Desinformation an der Wurzel packen und auf dem jeweiligen Kanal zu erliegen bringen. Die wissenschaftliche Forschung zur Methode der Demonetarisierung steckt allerdings noch in ihren Kinderschuhen und über anekdotische Evidenzen hinaus, so zum Beispiel die erfolgreiche Arbeit von Sleeping Giants USA gegen Breitbart News, können derzeit keine belastbaren Aussagen zu mittel- oder gar langfristiger Wirkungsweise der Methode vorgelegt werden.

Das Schweizer Taschenmesser gegen Desinformation gibt es nicht

Wie sich zeigt, bietet der Werkzeugkasten gegen Desinformation kein einzelnes Tool, das selbst in individualisierter Anwendungsweise der ganzen Bandbreite an Desinformation begegnen kann. Die gute Nachricht hierbei ist: das muss er auch nicht. Denn es kommt auf Komplementarität an.

Ein Informationsökosystem, dass sich langfristig erfolgreich gegen Desinformation zur Wehr setzen will, muss auf Methodenpluralität und ein sinnvolles Ineinandergreifen unterschiedlicher Wirkungsmuster setzen. Denn viel hilft nicht zwangsläufig viel, wie der Blick auf Fact-Checking zeigt. Vielmehr sollten Methoden aufeinander abgestimmt sein, um es Desinformationen in ihren unterschiedlichen Phasen, sprich bereits vor seiner Erstellung (Media Literacy, Prebunking), aber auch nach seiner Verbreitung (Debunking, Fact-Checking oder zum Teil auch Demonetarisierung) möglichst schwer zu machen, ihre zerstörerische Wirkung zu entfalten.

Die internationale Recherche zeigt, dass die Optionen hierbei noch nicht ausgeschöpft sind. Gerade Demonetarisierung tritt im internationalen Vergleich als Strategie zu Tage, die trotz ihrer potenziell großen Wirkkraft bis dato vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfährt und entsprechend wenig praktiziert wird. Dabei scheint es gerade diese Strategie zu sein, die aufgrund ihres Wirkungsansatzes in der Lage dazu ist, die Rentabilität von Desinformation empfindlich zu schwächen. Demonetarisierung adressiert eine Leerstelle in der bisherigen Praxis der meisten Anti-Desinformationsstrategien und sollte künftig deutlich stärker Anwendung finden als bisher.


Dr. Joachim Rother

Dr. Joachim Rother

Project Manager

Dr. Joachim Rother ist Project Manager im Team Upgrade Democracy der Bertelsmann Stiftung und unter anderem verantwortlich für den Reinhard Mohn Preis 2024. Vorher leitete Joachim die Israel Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung und widmete sich dem Ausbau der deutsch-israelischen Beziehungen auf kultureller, wirtschaftlicher wie politischer Ebene. Joachim hat Geschichte, Englisch und Sozialkunde an der Otto-Friederich-Universität Bamberg studiert und hat mit einer Arbeit zur Geschichte der Kreuzzüge im Fachbereich der Mittelalterlichen Geschichte promoviert. Vor seiner Beschäftigung bei der Bertelsmann Stiftung war Joachim stv. Büroleiter der Konrad-Adenauer Stiftung (KAS) in Jerusalem, Israel. Joachim ist Alumnus der Promotionsförderung der KAS, des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Washington D.C. und des Jerusalemer Instituts der Görres Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaften.
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