Mit Grüßen aus Moskau – Desinformationen und die Destabilisierung der Demokratie

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Charlotte Freihse, Dr. Kai Unzicker

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Der Umgang mit Desinformationen im Ukrainekrieg

Wenn absichtlich Falschnachrichten verbreitet werden, um damit einen Schaden anzurichten, die Bevölkerung zu verunsichern, einzelne Personen zu diskreditieren oder politische Konflikte gezielt zu eskalieren, spricht man von Desinformation. Das Phänomen ist nicht neu: Desinformation und Propaganda sind seit jeher Werkzeuge im Krieg und durch die Sozialen Medien können sie sich noch schneller und gezielter verbreiten. Aktuell spiegelt sich das auch in der Art und Weise, wie gezielte Falschinformationen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verwendet werden. Am 20. April 2023 haben wir deshalb in Berlin darüber diskutiert, welche Rolle Desinformationen in diesem Krieg spielen, wie und durch wen diese verbreitet werden, welche Narrative sich entwickelt haben, und welche Absichten dahinterstecken. Wir sprechen auch darüber, welche Wirkung diese Strategien in der deutschen Bevölkerung zeigen und wie sie die öffentliche Meinungsbildung und die politische Diskussion hier beeinflussen.

Podiumsdiskussion mit Christiane Hoffmann, Pia Lamberty und Susanne Spahn

Auf dem Podium der Bertelsmann Stiftung am Werderschen Markt in Berlin diskutierten miteinander die Erste Stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung Christiane Hoffmann, die Osteuropaexpertin Dr. Susanne Spahn sowie die Sozialpsychologin und Leiterin des Center for Monitoring, Analysis and Strategy (CeMas) Pia Lamberty. Moderiert wurde die Veranstaltung von dem Journalisten Joscha Weber, der die Fact-Checking Abteilung der Deutschen Welle in Bonn leitet. Die Veranstaltung war eine Kooperation von Upgrade Democracy und dem Business Council for Democracy (BC4D) der Hertie Stiftung im Rahmen der Berliner Stiftungswoche 2023.

Desinformation zerstört Vertrauen

In ihrer Funktion als stellvertretende Leiterin des Bundespresseamts ist Christiane Hoffmann seit dem Beginn des Ukrainekriegs im Februar letzten Jahres besonders häufig mit dem Thema Desinformation konfrontiert. Sie sagt, die mitunter plumpen Narrative über die Ukraine würden in Deutschland nur von einer kleinen Minderheit geglaubt. Beunruhigender sei indes,

„dass ein großer Teil dieser Desinformationen darauf zielt, den Glauben daran, dass es vertrauenswürdige Informationen gibt und dass es eine gemeinsame Wahrheit gibt zu zerstören.“

Und das ist besorgniserregend, denn eine Gesellschaft bricht auseinander, wenn sie keine gemeinsame Wahrheit mehr kennt.

Russische Desinformationen sind kein neues Phänomen

Auch wenn aktuell das Thema russische Desinformationen große öffentliche Aufmerksamkeit erfährt, handelt es sich dabei keineswegs um ein neues Phänomen. Susanne Spahn forscht bereits seit 2014 hierzu. Sie macht deutlich, dass die im Augenblick laufenden Kampagnen bereits seit der Annexion der Krim durch Russland begonnen haben und viele Inhalte bereits in den letzten Jahren immer wieder von Expert:innen aufgedeckt und widerlegt wurden.

„Nichtsdestotrotz halten sie sich hartnäckig, einfach weil sie unheimliche Mobilisierungskraft besitzen.“

Sie mahnt an, dass wir in Deutschland dieses Problem lange Zeit nicht ausreichend ernst genommen haben.

Verschwörungserzählungen bedienen sich an tradierten Mustern

Die Erzählungen, die durch gezielte Desinformationskampagnen verbreitet werden, zeichnen sich nicht durch große Originalität aus. Vielmehr greifen sie immer wieder auf bereits sehr langebestehende Motive und Vorurteile zurück:

„Das, was während der Pest verbreitet wurde, unterscheidet sich nicht so sehr von dem, was wir in der Corona-Pandemie gehört haben“,

sagt die Sozialpsychologin Pia Lamberty. Die Kombination aus kulturell eingebetteten, tradierten Motiven und immer neuen Anlässen, sorgt letztlich für die erfolgreiche Verbreitung und Übernahme von Verschwörungstheorien.

Politik und Zivilgesellschaft müssen aktiv sein gegen Desinformation

Als Fazit der anregenden Diskussion lässt sich festhalten, dass in einer offenen und demokratischen Gesellschaft Maßnahmen gegen Desinformationen nicht einfach ist. Weder sollte der Staat zu stark eingreifen, weil immer die Gefahr besteht, damit die Meinungsfreiheit einzuschränken, noch sollte man tatenlos zuschauen, wie die Fundamente der Demokratie untergraben werden. Aufklären, Resilienz stärken und öffentlicher Widerspruch sind daher genauso wichtig, wie staatliche Regulierung und – wo nötig – Strafverfolgung. Mit Blick auf die Bundesregierung sagte Hoffmann:

„Da, wo die Absicht von Desinformation aber ist, dem demokratischen Zusammenleben zu schaden und die Grundfesten unserer Demokratie anzugreifen, müssen wir als Regierung aktiv werden. Ziel unserer Bundesregierung ist es daher weiterhin, aufzuklären und vertrauensvolle Informationen zur Verfügung zu stellen, um die Resilienz unserer demokratischen Gesellschaft zu sichern“.

Alle drei Diskutantinnen waren sich einig, dass es (noch) mehr Ressourcen bedarf, um die Stärkung einer resilienten Gesellschaft, in der Desinformation einen geringen Nährboden haben, voranzutreiben. Und dafür wiederrum braucht es enge Kooperation, Austausch und Unterstützung von Politik, Zivilgesellschaft, Medien und Wissenschaft.

Ihr könnt die Diskussion über Desinformation online nachhören

Impressionen von der Veranstaltung


Charlotte Freihse

Charlotte Freihse

Project Manager

Charlotte Freihse ist Projekt Managerin im Projekt „Upgrade Democracy“ der Bertelsmann Stiftung und beschäftigt sich dort vor allem mit Platform Governance und Desinformation sowie den Auswirkungen digitaler Technologien auf öffentliche Meinungsbildung und Diskurs. Vor ihrer Zeit in der Stiftung war sie freie Mitarbeiterin in der Nachrichtenredaktion des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Parallel dazu war sie Forschungsassistentin im europäischen Forschungsprojekt NETHATE und entwickelte mit der Universität Jena und mit Das NETTZ ein Kategorisierungssystem für Interventionsmaßnahmen gegen online Hassrede. Charlotte hat einen Master in Friedens- und Konfliktforschung mit einem Fokus auf digitalen Technologien in Konflikten sowie Friedensprozessen.
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Project Manager

Dr. Kai Unzicker

Dr. Kai Unzicker

Co-Lead

Dr. Kai Unzicker ist als Senior Project Manager im Programm „Demokratie und Zusammenhalt“ der Bertelsmann Stiftung tätig. Er ist Co-Leiter des Projekts „Upgrade Democracy“, das sich mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Demokratie befasst. Zuvor hat er seit 2011 für die Bertelsmann Stiftung das „Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt“ entwickelt. In zahlreichen Studien hat er gesellschaftliche Veränderungen im internationalen Vergleich, in Deutschland und auf regionaler und lokaler Ebene untersucht. Für die Themen Zusammenhalt, Vertrauen, Gerechtigkeit und Solidarität sowie neuerdings Desinformation ist er als Experte in den Medien und Speaker bei Veranstaltungen gefragt. Er ist einer der Sprecher der „Allianz für gesellschaftlichen Zusammenhalt“, einem Zusammenschluss von mehreren Stiftungen, die sich in ihrer Arbeit auf unterschiedliche Art und Weise mit der Stärkung des Zusammenhalts in Deutschland befassen. 2018 hat er als Projektleiter den Reinhard Mohn Preis zum Thema „Vielfalt leben – Gesellschaft gestalten“ verantwortet. Von 2004 bis 2011 war er als Wissenschaftler am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld tätig. Kai Unzicker hat von 1998 bis 2004 Soziologie, Psychologie und Philosophie an der Philipps-Universität Marburg studiert.

Weitere Informationen, u.a. zu Publikationen und Projekten finden sich auf der Website der Bertelsmann Stiftung: Profil von Dr. Kai Unzicker

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