Democracy by Design: Wie dezentrale Alternativen zu einem besseren Social Media Ökosystem beitragen können

Charlotte Freihse

Artikel

In der heutigen digitalen Diskurslandschaft dominieren privatwirtschaftliche Social-Media-Plattformen — die inzwischen auch zunehmend reguliert werden. Für nachhaltige Veränderung braucht es jedoch mehr: Das demokratisierende Potenzial von dezentralen Netzwerken sollte daher unbedingt stärker in den Blick genommen werden.

Ein gesunder digitaler Diskurs ist ein wesentlicher Bestandteil für Meinungsbildung, Austausch und Information in demokratischen Gesellschaften. Derzeit findet dieser Diskurs im digitalen Raum jedoch an privatisierten Orten statt, wobei die Macht über Regeln und Rahmenbedingungen in den Händen weniger, nicht gemeinwohlorientierter Unternehmen, konzentriert ist.  Der Großteil der Regulierung dieses Raumes konzentriert sich auf die Macht der dominanten Plattformen, wie Instagram, TikTok und Co. Und das ist wichtig, denn die entsprechenden Gesetze – insbesondere das Gesetz über digitale Dienste auf EU-Ebene (DSA) – erhöhen die Transparenz und führen eine Reihe neuer Kontrollinstrumente ein. Eine Demokratisierung von Plattformen, die Interessen von Bürger:innen direkter mit einbezieht, findet aber nicht statt. Dafür braucht es andere Ideen.

Eine oft diskutierte ist die von Plattformräten, die dafür sorgen, mehr Partizipation und Inklusivität in die Gestaltung des digitalen Raumes zu bringen. Konkret bedeutet sie die Einbindung von Personen außerhalb des Unternehmens, um Grundrechte und Werte auf den Plattformen stärker zu integrieren und zu kontrollieren (vgl. Berger et al.; Kettemann et al.; Riedel; Pietron und Haas). Das Oversight Board von Meta ist ein erstes Umsetzungsbeispiel und sicher ein Schritt in die richtige Richtung, während viele andere Plattformen noch zögern, vergleichbare Governance-Mechanismen einzuführen. Am Beispiel des Meta Oversight Boards zeigt sich aber auch die Schwierigkeit „demokratische“ Elemente in ein privatwirtschaftliches Unternehmen zu integrieren: Das Board hat nur begrenzte Macht, denn es kann nur Empfehlungen geben, welche nicht bindend sind. Dasselbe gilt für die Ressourcenausstattung: Es kann nur wenige Fälle bearbeiten, während Millionen Moderationsentscheidungen (Stichworte Superwahljahr, nicht-englischsprachige Inhalte) anstehen, wodurch der Einfluss auf die Plattformen gering bleibt. Zudem fehlt es an Transparenz, insbesondere bei Algorithmen, was langfristige systemische Änderungen erschwert. Plattformräte – so gut die Idee ist – stehen in der Praxis vor noch weiteren Herausforderungen: Es besteht die Gefahr, dass staatliche Regulierungsbehörden geschwächt und Verantwortlichkeiten diversifiziert werden. Zudem erfordert die Umsetzung demokratischer Rückbindung erhebliche Ressourcen, einschließlich der Schaffung von Anreizen für weniger privilegierte Gruppen, um eine konstruktive Beteiligung zu fördern (weitere Informationen finden sich in unserer gemeinsam mit weiteren Expert:innen durchgeführte Analyse).

Also was dann? Ist das alles oder wie könnte ein digitaler Raum mit weniger Monopolisierung und Machtungleichgewichten aussehen? Und was bedeutet das für Nutzer:innen?

Die Nutzer:innen sind im aktuellen Social Media Ökosystem mit wenig Handlungs- und Entscheidungsspielraum ausgestattet: Sie haben eingeschränkte Wahlfreiheit über Plattformen, unzureichenden Schutz ihrer persönlichen Daten und mangelnde Transparenz über die Architektur und das Design ihrer genutzten Plattformen. Regulierung kann dies nur teilweise lösen. Wie könnte ein für Nutzer:innen demokratischeres Social Media Ökosystem aussehen? Und was wäre notwendig, damit Nutzer:innen dieses Potenzial auch ausschöpfen können?

Hier sind vier Ideen von dezentralen Plattformen, die für eine Demokratisierung des Social Media Ökosystems sorgen könnten:

  • Datensouveränität und Datenschutz: Die Kontrolle über persönliche Daten ist ein zentraler Aspekt auf dezentralen Plattformen. So erlauben beispielsweise viele Instanzen aus dem Fediverse kein Tracking von Dritten, d.h. Nutzer:innen können je nach Wahl der Instanz hier die Kontrolle über ihre persönlichen Daten zurückerlangen. Dies steht im Gegensatz zu zentralisierten Plattformen, die große Mengen an Nutzerdaten sammeln und oft ohne Zustimmung der Nutzer:innen weiterverwenden. Dezentrale Beispiele wie Mastodon und Diaspora zeigen, dass dies die Souveränität der Nutzer:innen stärkt und das Risiko von Massenüberwachung und Datenmissbrauch verringert. Gleichzeitig müssen Nutzer:innen die Bedeutung dessen aber verstehen und wissen, wo und wie sie ihre Daten managen können, denn es gibt auch dezentrale Alternativen, bei denen das Sammeln von Daten und ihre Auswertung für Werbung möglich ist, siehe Metas dezentrale Plattform Threads. Mehr Macht fordert also auch mehr Verantwortung und Kompetenz. Für die dezentralen Plattformen bedeutet diese Form der Datensouveränität, dass sie neue Finanzierungsmodelle brauchen. Eine denkbare Möglichkeit ist ein Abo-Modell, welches allerdings eine Bereitschaft der Nutzer:innen erfordert, mit Geld, statt mit eigenen Daten zu bezahlen.
  • Unabhängigkeit von dezentralen Instanzen: Dezentrale Plattformen wie Mastodon ermöglichen es Nutzer:innen und/ oder Gruppen, eigene Server zu betreiben, was die Möglichkeit zentraler Kontrolle und Zensur durch eine einzelne Organisation minimiert. Dies ist nicht nur für individuelle Nutzer:innen, sondern auch für Medienschaffende und andere Institutionen spannend, die Informationen in den Diskurs einbringen möchten. Um diese Möglichkeit ausschöpfen zu können, braucht es allerdings enorme Ressourcen – Serverkosten und Ressourcen für z.B. Content Moderation auf der einen Seite und technische Kenntnisse zur Einrichtung und Verwaltung dieser Server auf der anderen. Um zu vermeiden, dass nur ressourcenstarke Akteur:innen das Feld betreten, braucht es Unterstützung und Anleitungen für marginalisierte und ressourcenschwache Akteur:innen. Finanzierungsmodelle für dezentrale Plattformen sollten dies berücksichtigen.
  • Entscheidungsfreiheit und Diversifizierung durch Interoperabilität: Offene Protokolle fördern Innovation und Wettbewerb, da Nutzer:innen weniger von den Änderungen und Gegebenheiten auf Plattformen abhängig sind. Dies kann die Entwicklung neuer Funktionen und Dienste begünstigen, die besser auf die Bedürfnisse der Nutzer:innen zugeschnitten sind. PeerTube ist ein Beispiel, das Nutzer:innen ermöglicht, ihre eigenen Video-Hosting-Instanzen zu betreiben und so eine diversifizierte Landschaft von Video-Inhalten schafft, die nicht durch die Monopolstellung einer einzelnen Plattform wie YouTube eingeschränkt wird. Interoperabilität ermöglicht es Nutzer:innen, Plattformen leichter zu verlassen und bietet kleineren Plattformen und Servern größere Chancen genutzt zu werden. Dies führt in zu mehr Diversität und Pluralität im Angebot. Für geprüfte Nachrichteninhalte, also Inhalte von traditionellen Medien könnte dies allerdings auch bedeuten, dass eigene Inhalte unter Umständen noch größere Schwierigkeiten haben im Informationsangebot zu Nutzer.innen durchzudringen und in der Breite sichtbar zu sein. Das heißt: Gedanken, in welcher Form Qualitätsinformationen, vor allem diese von etablierten Medien, auf dezentralen Plattformen unterstützt werden können sind notwendig.
  • Mitbestimmung und Selbstverwaltung: In dezentralen Netzwerken haben Nutzer:innen oft mehr Mitspracherecht in der Gestaltung und Verwaltung der Plattform. Partizipative Governance-Modelle ermöglichen den Nutzer:innen, Einfluss auf Regeln, Moderationsrichtlinien und technische Entwicklungen zu nehmen. Plattformen wie Mastodon, die partizipative Governance-Modelle nutzen, oder Konzepte, wie ein Marktplatz der Algorithmen auf der dezentralen Plattform BlueSky, schaffen ein demokratischeres und nutzerzentriertes Umfeld. Gerade diese Form von Beteiligung könnte – in einem interoperablen Ökosystem – zu Plattformbindung seitens der Nutzer.innen führen. Notwendig sind hierfür allerdings klare und zugängliche Governance-Strukturen sowie Engagement und Beteiligung der Nutzer:innen an Entscheidungsprozessen.

Was jetzt getan werden muss

Unsere Recherchen der letzten zwei Jahren haben (wiederholt) großes Potenzial aufgezeigt: wer Resilienz und gesunde digitale Diskurse in durchwachsenden demokratischen Zeiten fordert, muss Taten walten lassen und Verantwortung übernehmen. Und ein Hebel dies zu tun ist Ansätze für die Neugestaltung unseres Social Media Ökosystems zu entwickeln und zu implementieren. Bloße Regulierung bestehender Plattformen reicht nicht mehr aus – es ist an der Zeit dezentrale Alternativen zu fördern, um den Konzentrationstendenzen in der Plattformökonomie etwas entgegenzusetzen. Für politische Entscheiderinnen bedeutet das konkret: Geld in die Hand zu nehmen und diese Entwicklungen aktiv zu fördern, indem sie gezielt dezentrale Alternativen unterstützen und Rahmenbedingungen schaffen, die den Aufbau eines demokratischeren und diverseren Social-Media-Ökosystems ermöglichen.


Charlotte Freihse

Charlotte Freihse

Project Manager

Charlotte Freihse ist Projekt Managerin im Projekt „Upgrade Democracy“ der Bertelsmann Stiftung und beschäftigt sich dort vor allem mit Platform Governance und Desinformation sowie den Auswirkungen digitaler Technologien auf öffentliche Meinungsbildung und Diskurs. Vor ihrer Zeit in der Stiftung war sie freie Mitarbeiterin in der Nachrichtenredaktion des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Parallel dazu war sie Forschungsassistentin im europäischen Forschungsprojekt NETHATE und entwickelte mit der Universität Jena und mit Das NETTZ ein Kategorisierungssystem für Interventionsmaßnahmen gegen online Hassrede. Charlotte hat einen Master in Friedens- und Konfliktforschung mit einem Fokus auf digitalen Technologien in Konflikten sowie Friedensprozessen.
Follow on

Project Manager

Share

Similar articles