Zwei Jahre Upgrade Democracy: Was wir gemacht und was wir gelernt haben
Cathleen Berger, Dr. Kai Unzicker
Zu Beginn unseres Projektes stand eine Frage: Würde das Superwahljahr 2024 auch zu einem Superjahr der Desinformation werden? Im Jahr 2024 war rund die Hälfte der Weltbevölkerung zur Wahlurne gerufen, u. a. in Indien, Indonesien, der Europäischen Union, Südafrika und den USA. Neben der enorm hohen Anzahl an entscheidenden Wahlen war und bleibt die Stimmungslage durch Krieg, Wirtschafts- und Klimakrise aufgeheizt – eine günstige Gelegenheit für Manipulationsversuche. Unsere eigene repräsentative Erhebung belegt: Die Bevölkerung ist besorgt. 84 Prozent der Deutschen sehen in Desinformation ein großes Problem für unsere Gesellschaft und 81 Prozent fürchten deren Einfluss auf die Demokratie. Damit war offensichtlich, dass wir diese Aufmerksamkeit mit möglichst konkreten und gezielten Lösungsangeboten aufgreifen und Resilienz stärken müssen.
Mit unterschiedlichen Impulsen, Veröffentlichungen und Praxisprojekten haben wir ein breites Spektrum an Themen rund um die Verbreitung von und den Umgang mit Desinformationen bearbeitet. Zeit, die Ergebnisse, Erfahrungen und Erkenntnisse aus zwei Jahren Upgrade Democracy zu kondensieren und zu bündeln.
Heute starten wir deshalb eine sechsteilige Beitragsserie, in der wir unsere zentralen Erfahrungen aufbereiten – und dabei insbesondere politische Entscheider:innen in den Blick nehmen, die jetzt gefordert sind. Die Zeit des Beobachtens ist vorbei. Gesunde, resiliente digitale Diskurse müssen aktiv gestaltet werden. Dafür braucht es mehr politische Aufmerksamkeit, mehr Anerkennung für zivilgesellschaftliche Netzwerke und mehr verlässliche Förderung.
Worum es in den folgenden Beiträgen gehen wird
- Unser Team hat sich auf die Suche gemacht: In einer großangelegten, internationalen Recherche und mit wertvoller Unterstützung durch regionale Forschungspartner:innen haben wir Trends, Akteur:innen und Muster im (Des-) Informationsökosystem aufbereitet und Gemeinsamkeiten wie Unterschiede zwischen den Regionen analysiert. Cathleen und Charlotte fassen in ihrem Beitrag die zentralen Beobachtungen zusammen und fordern politische Entscheider:innen auf, internationale Perspektiven stärker in ihr eigenes Handeln zu integrieren.
- Hoffnung geben uns die über 230 Ansätze, Ideen und Lösungen, die wir in allen Teilen der Welt identifizieren konnten und die sich tagtäglich für resiliente Demokratien einsetzen. So inspirierend die Vielfalt der Initiativen und ihrer eingesetzten Methoden ist – sie müssen nachhaltiger und gezielter ausgebaut werden, wie Joachim in seinem Beitrag ausführt.
- Methodisch darf es nicht nur um Fact-Checking gehen, vielmehr müssen Medien- und Demokratiekompetenzen zusammengedacht werden. Hierbei können Ansätze wie „Trust-Checking“ zielführende Impulse liefern, wie Julia in ihrem Beitrag reflektiert.
- Gerade im digitalen Raum ist es wichtig, dass Gestaltungsvorschläge auf Basis von belastbaren Daten unterbreitet werden, damit Plattformverantwortung nicht als bloße Forderung stehen bleibt, sondern effektiv umgesetzt wird. Die Forschung zu digitalen Diskursen muss dafür neu aufgestellt werden. Cathleen fordert in ihrem Beitrag deshalb die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle für unabhängige, kontinuierliche Forschung auf digitalen Plattformen.
- Es kann beim Thema Plattformverantwortung allerdings nicht nur um die dominanten Plattformen gehen. Wir müssen uns auch fragen, wie dezentrale Alternativen gestärkt und für gesündere, demokratische Diskurse – auch von politischer Seite, besser aufgestellt werden können. Impulse hierfür setzt Charlotte in ihrem Beitrag.
- Am Ende kommt es aber auch darauf an, wie wir gesellschaftlich und politisch den digitalen Diskursraum gestalten wollen. Was sind unsere Visionen einer gesunden und produktiven Öffentlichkeit, die die Demokratie stützt und zu Verständigung beiträgt. Ausgehend von aktuellen Trends und mit Blick auf unterschiedliche Zukunftsszenarien beleuchtet Kai, worauf es ankommt, um eine gesunde digitale Öffentlichkeit zu gestalten.
Politisches Handeln ist gefordert
Wir haben viel gelernt. Und: es bleibt viel zu tun. Vor allem aber ist politisches Handeln gefordert. Wir dürfen das Problem nicht nur beobachten, sondern müssen Lösungen ergreifen. Dabei gibt es nicht die eine Lösung und nicht den einen Akteur, der alles lösen kann. Vielmehr muss ein Netzwerk an Protagonist:innen zusammenwirken, gegen böswillige Einflussnahme und für demokratische Öffentlichkeit. Diese Netzwerke müssen aufgebaut, gepflegt und finanziell unterstützt werden. Um der Desinformationsindustrie entgegenzuwirken, brauchen wir ein resilientes Ökosystem, das demokratischen „Streit“ lebt und fördert. Für Regierungen und politische Entscheider:innen bedeutet das: Die Debatte um potenzielle (restriktive) Einschränkungen und dem Schutz der Meinungsfreiheit muss offen und ehrlich geführt werden. Internationale Erfahrungen sind hier ein wichtiges Korrektorat, genau wie eine starke, gut vernetzte Zivilgesellschaft.