Chequeado: Die älteste Fact-Checking-Organisation der südlichen Hemisphäre
Virginia Kirst
Chequeado verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz: Mit dem Ziel, die Qualität des öffentlichen Diskurses zu verbessern, veröffentlicht es Faktenchecks, stößt Bildungsprogramme an und forscht dazu, wie effektiv die eigenen Methoden sind.
Chequeado, zu Deutsch „Überprüft“, ist die älteste Fact-Checking-Organisation der südlichen Hemisphäre. Bereits seit 2010 verifiziert die gemeinnützige Nichtregierungsorganisation den öffentlichen Diskurs in Argentinien und macht der breiten Bevölkerung verlässliche Informationen und Daten zugänglich. Damit will Chequeado die Qualität des öffentlichen Diskurses verbessern und kritisches Denken fördern, um die Demokratie zu stärken. Heute gehört sie zu den Top Zehn Fact-Checking-Organisationen weltweit.
Die Gründungsgeschichte ist untypisch für die Branche, weil sie auf einen Physiker, einen Ökonomen und einen Chemiker zurückgeht: Julio Aranovich, José Alberto Bekinschtein und Roberto Lugo waren bereits über 60 Jahre alt, als sie Chequeado starteten. Und sie hatten keine Erfahrung im Journalismus, in der Politik oder im gemeinnützigen Bereich. Doch alle drei störten sich daran, wie polarisiert der politische Diskurs in Argentinien damals war, wie Olivia Sohr, Leiterin der Innovationsabteilung bei Chequeado und erste Angestellte, berichtet: „Die Bevölkerung war geteilt. Entweder man glaubte der Regierung oder der größten privaten Medienorganisation.“ Auch, weil viele öffentliche Statistiken manipuliert waren, etwa jene zu Inflation und Armut. „Darum gab es viele Meinungen, aber fast keine Fakten“, sagt Sohr.
Das wollten die Männer ändern, indem sie eine Organisation nach dem Vorbild von Factcheck.org aufbauten, das Aranovich aus den USA kannte. So wurde Chequeado zum Fact-Checking-Pionier in Lateinamerika und sorgte durch den Aufbau des Netzwerks LatamChequea dafür, dass seine Herangehensweise auch in anderen Ländern des Kontinents Verbreitung fand.
Heute gehören dem Verbund 40 Organisationen aus 19 Ländern an, die sich über bewährte Praktiken und Fehler austauschen und an gemeinsamen Projekten arbeiten.
Das richtige Wissen dank internationalem Austausch
Dieser Hintergrund machte sich für Chequeado bei der argentinischen Präsidentschaftswahl 2023 bezahlt. Sie erhielt wegen des exzentrisch auftretenden Kandidaten Javier Milei, der sich als Anarchokapitalist bezeichnete und die Wahl schließlich gewann, weltweite Aufmerksamkeit. Zu Beginn der Wahl drohte sich jedoch das Playbook zu wiederholen, das schon bei den Wahlen in den USA und in Brasilien abgelaufen war und das darin bestand, die Legitimität des Wahlprozesses in Frage zu stellen, um das Ergebnis im Anschluss anfechtbar zu machen.
Zuvor waren die Fact-Checker:innen nur Desinformation über die Kandidat:innen und ihre Vorschläge gewohnt gewesen. „Den Prozess selbst anzuzweifeln war eine neue, größere Bedrohung für die Demokratie“, sagt Sohr. Doch Chequeado war durch die Erfahrung der anderen Fact-Checker:innen darauf vorbereitet und konnte die Betrugsvorwürfe mit Prebunking, also dem frühzeitigen Richtigstellen von Desinformation, bevor diese große Verbreitung findet, erfolgreich entkräften.
Automatisiertes Monitoring und Chatbot als Tipline
Diese Vorgehensweise ist typisch für die Organisation: Die Journalist:innen überwachen die Social-Media-Plattformen Meta, X, Telegram, YouTube und TikTok sowie traditionelle Medien auf Desinformationen. Stoßen sie darauf, veröffentlichen einen Fakten-Check, der Fehler richtigstellt – oder bestätigt, dass die zirkulierenden Informationen korrekt sind. Diese Inhalte werden anschließend über die Webseite und Social-Media-Kanäle von Chequeado verbreitet und über Partnerschaften in traditionellen Medien veröffentlicht.
Zentral für die Arbeit ist eine Monitoring-Software, die die Organisation seit 2016 mit maschinellem Lernen trainiert. Sie scannt digitale Nachrichtenangebote und Parlamentsprotokolle auf Desinformationen. Ein weiterer Kanal ist der selbstprogrammierte Chatbot, mit dem Nutzer:innen über WhatsApp potenzielle Desinformationen an Chequeado senden können. Gibt es bereits einen Fakten-Check zu der eingereichten Information, antwortet der Bot damit. Andernfalls nutzen die Journalist:innen die hunderten täglich eingehenden Nachrichten, um neue Narrative auszumachen. Der Vorteil ist, dass sie so auch mitbekommen, welche Nachrichten sich in geschlossenen WhatsApp-Chats verbreiten.
Zusätzlich arbeitet Chequeado auf Metas Fact-Checking-Plattform daran mit, Desinformationen richtigzustellen. Neu ist Chequeados Chequeabot – ein Programm, das politische Reden transkribiert und mit Hinweisen auf Fact-Checks versieht, damit Nutzer:innen in Echtzeit deren Wahrheitsgehalt überprüfen können.
Weitergabe von Wissen und wissenschaftliche Aufarbeitung
Ein zentrales Anliegen von Chequeado ist, das eigene Wissen weiterzuverbreiten. Daher veranstaltet die Organisation Workshops für Journalist:innen, mit Fokus auf Lokaljournalist:innen, denen häufig das Wissen über oder der Zugang zu Fact-Checking-Werkzeugen fehlt. Zusätzlich bemüht sich Chequeado darum, mit seinem Bildungsprogramm die Medienkompetenz und das kritische Denken von Jugendlichen zu verbessern. Dazu arbeitet Chequeado mit Lehrer:innen zusammen und stellt ihnen Unterrichtsmaterial zur Verfügung.
Die Organisation erstellt außerdem Analysen und führt investigative Recherchen zu Themen rund um Desinformation, den Akteur:innen dahinter sowie den Plattform-Policies durch. „Wir sehen, dass die gleichen Arten von Desinformationen in verschiedenen Ländern wiederholt werden und glauben, dass viel Potenzial in der Kooperation mit anderen Organisationen auf regionaler oder sogar globaler Ebene liegt“, sagt Sohr.
Die Analysen umfassen auch die Effizienz der eigenen Arbeit. So stellt Chequeado seine Daten Wissenschaftler:innen zur Verfügung, die deren Wirkung überprüfen. Teils mit überraschenden Ergebnissen: So erschien kürzlich ein Aufsatz im Magazin „Nature“, der – auch auf der Basis von Chequeados Daten – feststellt, dass Nutzer:innen positive Fakten-Checks lieber teilen als negative, weil Menschen bevorzugt Informationen verbreiten, die wahr sind. Zuvor galten positive Fakten-Checks bei Chequeado als journalistisch weniger interessant, weil sie keine Lügen oder Missstände aufdecken.
Wie Chequeado als Vorbild dienen kann
Chequeado hat sich als Pionier in der Fact-Checking-Branche etabliert und diese Position genutzt, um ein Netzwerk aufzubauen, das sich über 19 Länder erstreckt. Durch die Zusammenarbeit mit anderen zeigt die Organisation, wie wichtig es ist, Wissen und Ressourcen zu teilen, um Desinformation effektiv zu bekämpfen. Darüber hinaus legt Chequeado Wert auf die Überprüfung der eigenen Arbeit. Dieser transparente und evidenzbasierte Ansatz sorgt für zusätzliche Glaubwürdigkeit. Schließlich sorgt die Organisation durch seine aktive Kommunikation und Bildungsarbeit dafür, dass seine Erkenntnisse über die Grenzen des interessierten Publikums hinweg Wirkung entfalten können.