CCDH: Mit der Moral gegen den Hass auf Social-Media-Plattformen
Virginia Kirst
Das Center for Countering Digital Hate versucht, eine Rechenschaftspflicht für Social-Media-Unternehmen zu etablieren. Dafür wendet es von PR-Kampagnen bis zu Policy-Beratungen verschiedene Strategien an und ist erfolgreich: Gründer Imran Ahmed errang gerade vor Gericht einen Etappen-Sieg gegen X Corp.
Der Name ist beim Center for Countering Digital Hate (CCDH) Programm: Die gemeinnützige Organisation mit Sitz in London und Washington D.C. hat sich dem Kampf gegen Hass im Internet verschrieben. Gegründet wurde sie vom politischen Berater Imran Ahmed, nachdem dieser 2016 gleich drei Ereignisse miterlebt hatte, die sein Weltbild nachhaltig erschütterten: den Anstieg von Antisemitismus in der politischen Linken im Vereinigten Königreich, den Extremismus rund um die Brexit-Abstimmung und die Ermordung der Labor-Abgeordneten Jo Cox.
Ahmed sah eine gemeinsame Ursache in dem zunehmend toxischen Umfeld auf Social-Media-Plattformen und entschied, etwas dagegen zu unternehmen. Er hörte auf, die Labor-Partei zu beraten und gründete 2019 das CCDH. Dort setzt er nun seine jahrelange Erfahrung aus der Politik ein, um die Tendenz des digitalen Mediensystems zu bekämpfen, die Hass und Lügen mehr Aufmerksamkeit garantiert als der Wahrheit und positiven Nachrichten: „Das CCDH hat von Anfang nach Wegen gesucht, die Unternehmen hinter den Social-Media-Plattformen zu beeinflussen, die Art und Weise, wie sie arbeiten und wie sie reguliert werden“, sagt Ahmed. Gefunden hat es sie in der Moral.
Das CCDH hat eine Strategie entwickelt, die darin besteht, die Öffentlichkeit und Werbetreibende über die Verbreitung von Hass und Desinformation auf den Plattformen zu informieren und zu entlarven, wie wenig die Betreiber:innen dagegen unternehmen. Auf dieser Basis wirbt das CCDH für eine Reform der Technologiebranche und ihrer Regulierung – bei der Öffentlichkeit ebenso wie bei Regierungen und Entscheidungsträgern.
Dafür stellt es zur Verfügung, was Ahmed „actionable intelligence“ nennt – zu Deutsch etwa „handlungsbefähigende Informationen“ – also Datenanalysen, die etwa die Verbreitung von Hassnachrichten auf Plattformen belegen, in Kombination mit Analysen und Handlungsempfehlungen, wie konkret dagegen vorgegangenen werden kann. Oder, wie Ahmed zusammenfasst: „Wir zeigen den Schaden, um die gewünschten Veränderungen anzustoßen.“
Erfolg durch Kampagnen und Policy-Arbeit
Seit der Gründung habe sich bereits viel getan, berichtet Ahmed. So habe es, als er vor rund siebeneinhalb Jahren mit seiner Arbeit am CCDH-Vorgänger begonnen habe, keine weltweit keine Gesetze gegeben, die Social-Media-Unternehmen zur Rechenschaft gezogen hätten. Doch seitdem habe das CCDH zur Verabschiedung des Online Safety Acts des Vereinigten Königreichs beigetragen, indem Ahmed als erster Experte im Gesetzgebungsprozess angehört wurde.
Ahmed hat zu dem Thema ebenfalls vor dem US-Kongress ausgesagt und das CCDH hat Einfluss auf den Digital Services Act der EU genommen. „Ich bin wirklich stolz darauf, dass wir eine Rolle dabei gespielt haben, den Wandel voranzutreiben“, sagt Ahmed.
Gleichzeitig führt das CCDH Kampagnen durch, die deutlich medienwirksamer sind als die Policy-Arbeit: So ist Ahmed vor allem für seine Auseinandersetzungen mit dem US-Unternehmer und Eigentümer der Plattform X, vormals Twitter, Elon Musk bekannt, die in persönlichen Beleidigungen auf dessen Plattform sowie kürzlich auch vor Gericht abläuft. So beschuldigte Ahmed Musk sich „zynisch“ und „ekelhaft“ zu verhalten, indem er zuvor von der Plattform verbannten „Hardcore-Rassisten“, wieder Zugang zu X gewähre. Musk bezeichnete Ahmed als „Ratte“.
Rechtsstreit mit X Corp.
Der Streit geht auf einen Bericht zurück, in dem das CCDH eine Zunahme an Hassrede auf X belegt, seit Musk die Plattform gekauft hat. Die Ergebnisse des Berichts erhielten viel Aufmerksamkeit in weltweiten Medien und kostete Musk nach eigenen Angaben „mindestens einige zehn Millionen US-Dollar“ an Einnahmen, weil Werbetreibende sich in Folge von der Plattform abwandten. Ahmed freut das: „Es sollte teuer sein, die Verbreitung von Hass zu ermöglichen. Und ich bin sehr stolz darauf, dass wir einen Weg dorthin gefunden haben.“
Musk verklagte das CCDH daraufhin unter dem Vorwand, unrechtmäßig an die Daten für ebenjene Studie gelangt zu sein. Doch der US-Richter wies die Klage mit dem Hinweis ab, es sei „offensichtlich“, dass X Corp das CCDH nicht wegen der Datenerfassungsmethoden verklage, sondern, weil ihm dessen Kritik nicht gefalle und X Corp fürchte, dass sie dem Image des Unternehmens schaden und Werbekunden abschrecken würden.
„Es sollte teuer sein, die Verbreitung von Hass zu ermöglichen. Und ich bin sehr stolz darauf, dass wir einen Weg dorthin gefunden haben.“
Das CCDH hat seinen Tätigkeitsbereich aber längst über die Themen Hass und Diskriminierung von Minderheiten ausgeweitet: Heute untersucht es auch etwa die Verbreitung von Desinformationen durch Impfgegner:innen oder Klimawandelleugner:innen sowie über die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen. Um in all diesen Bereichen einen möglichst großen Einfluss zu haben, kooperiert es mit anderen Organisationen, etwa beim Erstellen der Berichte. Zu den Partner:innen zählen MSI Reproductive Choices, eine internationale Organisation, die sich für besseren Zugang zu Verhütungsmethoden und Abtreibungen einsetzt, die Anti-Defamation League, die Antisemitismus bekämpft, oder die Human Rights Campaign, die für LGTBQ+-Rechte eintritt.
Künftig will sich das CCDH auch stärker in der Bildungsarbeit engagieren: „Indem wir die bösen Akteure studiert haben, haben wir viel gelernt, was wir den guten Akteur:innen beibringen könnten“, sagt Ahmed. Er hofft, in den kommenden zwei bis drei Jahren die finanziellen Mittel zu finden, um diese Informationen strukturieren und weitergeben zu können.
„Indem wir die bösen Akteure studiert haben, haben wir viel gelernt, was wir den guten Akteur:innen beibringen könnten“
Wie das CCDH als Vorbild dienen kann
Ahmed glaubt, dass die Arbeit des CCDH Erfolg hat, weil es gut darin ist, den Menschen zu vermitteln, warum die Dinge schieflaufen: „Wir schaffen es zu erklären, wieso es eine Gegenaufklärung gibt, die sich gegen die Demokratie, die Wahrheit, die Wissenschaft, die Toleranz und die Gleichberechtigung wendet und wieso sie von Social-Media-Unternehmen beschleunigt werden wird, wenn diese nicht die entsprechenden Leitplanen einbauen.“
Tatsächlich besticht die Arbeit des CCDH durch ihre Prägnanz und Lautstärke. Es ist klar, dass Ahmed weiß, wie er Provokationen zu seinem Vorteil einsetzten kann: Sei es, wenn er Regierungen auf die Probleme von Social-Media-Plattformen hinweist oder einen Streit mit Musk auf X vom Zaun bricht. Damit nutzt die Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie, die das Internet beherrschen, um seine Ziele zu erreichen.