Alt News Indien: Fact-Checking und Medienbildung im Verborgenen

Virginia Kirst

Highlight
Logo Alt News
Name
Alt News
Gründungsjahr
2017
Standort
Ahmedabad und Kolkata, Indien
Mitarbeitende
16
Methodologie
Kommunikation & Medien, Migration, Gesundheit, Bildung
Finanzierung
monatliche Spendenaktionen

Die Fact-Checking-Organisation Alt News aus Indien kämpft nicht nur gegen Desinformation, sondern auch gegen eine Regierung, die die Pressefreiheit zunehmend einschränkt. Für ihre Arbeit erhält sie internationale Anerkennung.


Alt News ist eine gemeinnützige Fact-Checking-Organisation aus Indien und gehört zu den ersten, die im Land in diesem Bereich aktiv gewesen ist. Softwareentwickler Pratik Sinha und Journalist Mohammed Zubair gründeten Alt News 2017, nachdem sie über Jahre privat das starke Wachstum von Desinformation und Hassrede im Internet mitverfolgt und dokumentiert hatten.

Vor dem Hintergrund des Aufstiegs der Hindu-nationalistischen Partei BJP ab Anfang der 90er-Jahre hatte ein Großteil dieser Inhalte einen politischen Kontext. Besonders problematisch war dabei die gezielte Diskriminierung der muslimischen Minderheit, die teils in Gewalt mündete und bis heute andauert. Mit der steigenden Relevanz von sozialen Netzwerken wuchs auch der potenzielle Schaden, den zirkulierende Desinformationen und Hassrede anrichten konnten.

Um dem entgegenzuwirken, veröffentlichten Sinha und Zubair schließlich die Fact-Checking-Webseite. Seitdem entlarvt Alt News Falschnachrichten, Desinformationskampagnen und verurteilt Hassrede öffentlich. „Alt News hat die Menschen darauf aufmerksam gemacht, dass wir als Land ein riesiges Problem haben, weil unser Informations-Ökosystem total korrumpiert ist“, sagt Sinha über ihre Arbeit.

Zwischen Gefängnis und Friedensnobelpreis

2022 machte die Organisation weltweite Schlagzeilen, als Sinha und Zubair vom „Time Magazine“ als Mitfavoriten für den Gewinn des Friedensnobelpreises gelistet wurden.

Zubair war im Juni desselben Jahres von der indischen Polizei wegen eines Memes verhaftet worden, das er vier Jahre zuvor auf Twitter geteilt hatte und das angeblich die religiösen Gefühle von Hindus verletzte. Internationale Journalismus-Organisationen verurteilten die Verhaftung hingegen als Angriff auf die Pressefreiheit und bezeichneten sie als Vergeltungsaktion der Regierung für Alt News‘ Fact-Checking-Arbeit. Erst nach 23 Tagen im Gefängnis ließen die Behörden Zubair wieder frei.

Doch die Einschüchterungsversuche halten das Team nicht von seiner Arbeit ab: Heute arbeiten 16 Mitarbeiter:innen bei Alt News, das sich über monatliche Spendenaufrufe finanzieren und in den Bereichen Nachrichten und Bildung aktiv sind.

Kampf gegen Desinformation und die Plattformen, auf denen sie floriert

Das Nachrichten-Team kümmert sich um die Fakten-Checks, indem es die Social-Media-Plattformen auf Hassrede überwacht und Hinweise auf kursierende Desinformation überprüft, die Nutzer:innen von Alt News über die WhatsApp-Tipline oder über das X-Hashtag #checkaltnews einreichen. Die Fakten-Checks werden anschließend auf der Webseite von Alt News veröffentlicht und über die Social-Media-Kanäle verbreitet.

Alt News bemüht sich außerdem, die Social-Media-Unternehmen dafür zur Verantwortung zu ziehen, was auf ihren Plattformen geschieht. „Wir informieren die Menschen darüber, was das Geschäftsmodell der Plattformen ist und dass sie das Informationsökosystem kontrollieren“, sagt Sinha. Diese Kontrolle stellt in Indien ein besonders großes Problem dar, weil die Regierung um den Premierminister und BJP-Vorsitzenden Narendra Modi die Plattformen zunehmend im eigenen Interesse beeinflusst.

So berichtete die „Washington Post“ in einer Serie von Artikeln Ende 2023, wie die indische Regierung die Pressefreiheit immer weiter einschränkt und gleichzeitig die Unternehmen dahinter für ihre Zwecke einspannt. X und Meta ziehen dabei laut der „Washington Post“ mit, weil die Regierung ihnen sonst den Zugang zu seinem 1,4 Milliarden Personen umfassenden Markt untersagen könnte – ein wirtschaftliches Risiko, das die Konzerne nicht bereit sind, einzugehen.

Medienbildung für eine resilientere Gesellschaft

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Alt News seine Fact-Checking-Tätigkeit um Bildungsarbeit erweitert hat. „Wir leben in einer Welt, in der wir Zugang zu mehr Informationen als je zuvor haben, aber die Informationen werden auch als Waffen eingesetzt, um unsere Emotionen zu politischen Zwecken, für Betrug oder Hassrede zu manipulieren“, sagt Sinha. Darum wolle Alt News die Gesellschaft resilienter gegen diese Manipulationsversuche machen.

Das zweite Standbein der Organisation ist daher nun ihr 2023 eingeführtes Bildungsprogramm, für das sie ein Medienbildungs-Curriculum für 12- bis 15-Jährige entwickelt hat, das sie an Schulen unterrichtet. Im Kurs lernen die Schüler:innen, Medien kritisch zu konsumieren, Quellen zu recherchieren und erfahren mehr über die Geschäftsmodelle der Plattformen und Medienorganisationen.

Doch auch hier erfährt Alt News Gegenwind: Nachdem eine große Zeitung über den Kurs berichtet hatte, stattete die Polizei der Organisation einen Besuch ab. Seitdem ist Alt News bemüht, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf seine Bildungsarbeit zu ziehen. „Wir arbeiten in einer sehr feindseligen politischen Atmosphäre und unter ständigem juristischem Beschuss“, fasst Sinha zusammen.

Wie Alt News als Vorbild dienen kann

Es ist dieser stille aber vehemente und methodische Widerstand gegen die Regierungsnarrative, der Alt News zu einem Vorbild für andere macht: Die Organisation ist vom Glauben daran getrieben, dass Beharrlichkeit große Auswirkungen haben kann. Denn in einem Land, das über 23 offizielle und etwa fünf Mal so viele inoffizielle Sprachen hat, ist für sie zwar unmöglich, Inhalte in allen Sprachen abzudecken. Doch ihre Arbeit in den Bereichen, in denen sie einen Einfluss haben können, dient als Vorbild für Gleichgesinnte.

Alt News dient damit als Beispiel für beharrlichen Widerstand gegen Einschüchterungsversuche und den Glauben daran, dass viele kleine Aktionen einen großen Unterschied machen können. Trotz der Bedrohungen und Einschränkungen kämpft das Team gegen Desinformation und für Pressefreiheit. Ihre Entschlossenheit und ihre Bemühungen, die Gesellschaft vor Desinformation zu schützen und Medienkompetenz zu fördern, sind für Andere inspirierend.


Virginia Kirst

Virginia Kirst

Freie Journalistin

Ich arbeite als freie Journalistin zwischen Rom und Hamburg. Meine Spezialität ist, die römische Politik zu entwirren und zu zeigen, welche Folgen sie haben wird – für Berlin, Bern, Brüssel und Wien. Als Auslandskorrespondentin schreibe ich Analysen, Berichte, Interviews und Reportagen für Zeitungen, Magazine und Webseiten. Außerdem berichte ich im Live-Fernsehen über aktuelle Ereignisse und werde als Italien-Kennerin ins Fernsehen, ins Radio und zu Podcasts eingeladen.

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