Neue Studie: Einstellungen und Wahrnehmungen zu Desinformationen in Europa

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Dr. Kai Unzicker

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Die Demokratie ist auf eine offene, transparente und vor allem faktenbasierte Öffentlichkeit angewiesen. Nicht erst seit Coronapandemie und Ukrainekrieg, aber seitdem besonders intensiv, wird diese demokratische Öffentlichkeit von digitalen Desinformationen bedroht. Damit sind falsche Informationen gemeint, die absichtlich, und mit dem Ziel einen Schaden anzurichten oder für Verunsicherung zu sorgen, verbreitet werden. Auf diese Weise soll die öffentliche Meinung manipuliert und die politische Debatte vergiftet werden. In unserer neuen Studie haben wir uns einmal genauer angeschaut, wie die Bürger:innen der Europäischen Union auf das Thema Desinformationen blicken und welche Erfahrungen sie damit bislang gemacht haben.

EU-Bürger:innen wünschen sich mehr Einsatz gegen Desinformationen von Politik und Plattformen

Ganz eindeutig zeigt unsere Befragung von über 13.000 Personen, dass eine überwältigende Mehrheit der EU-Bürger:innen sich mehr Einsatz bei der Bekämpfung von Desinformationen wünscht. Der Aussage „Die Politik sollte mehr gegen die Verbreitung von Desinformationen im Internet unternehmen“ stimmten 40 Prozent voll und weitere 45 Prozent eher zu. Dem Satz „Die Betreiber von Sozialen Medien, wie z.B. Twitter, Facebook, Instagram oder TikTok, sollten größere Anstrengungen unternehmen, um die Verbreitung von Desinformationen auf ihren Plattformen zu bekämpfen“ stimmten sogar 53 bzw. 36 Prozent voll bzw. eher zu., In beiden Fällen sind also über 80 Prozent dafür, dass sich Politik und Plattformen mehr gegen Desinformation einsetzen.

Mehrheit der Befragten ist unsicher, ob Informationen im Internet wahr oder falsch sind

Eine  Mehrheit – 54 Prozent der EU-Bürger:innen – sind häufig oder sogar sehr häufig unsicher, ob Informationen wahr oder falsch sind. Besonders stark ausgeprägt ist die Unsicherheit etwa in Italien (63 Prozent), Spanien (57 Prozent) oder Frankreich (55 Prozent). In Deutschland ist ein etwas kleinerer Prozentsatz unsicher bei der Bewertung des Wahrheitsgehalts, hierzulande sind es 47 Prozent. Am geringsten ist dieser Anteil in den Niederlanden mit 38 Prozent. Diese Zahlen geben einen Hinweis darauf, dass die Verbreitung von Desinformationen vermutlich ein wichtiges Ziel der Urheber bereits erreicht hat: die Verunsicherung zu vergrößern.

Verlässliche Informationen sind die Grundlage für eine fundierte Meinungsbildung und damit für den demokratischen Diskurs. Die Menschen in Europa verspüren der Umfrage zufolge eine große Unsicherheit darüber, welchen digitalen Inhalten sie noch vertrauen können und welche absichtlich manipuliert worden sind. Wer die Demokratie schützen und stärken möchte, darf die Bürgerinnen und Bürger im Umgang mit Desinformation nicht allein lassen.

Mehr als ein Drittel der EU-Bürger:innen begegnen häufig Desinformationen im Internet

39 Prozent der EU-Bürger:innen haben angegeben, sie wären schon häufig oder sogar sehr häufig auf Desinformationen im Internet gestoßen. Nur 11 Prozent sagen, dies wäre noch gar nicht der Fall gewesen. Diese Werte zeigen: Die Verbreitung von Desinformationen scheint ein Massenphänomen zu sein und dabei sind hierbei natürlich noch die Fälle unberücksichtigt, bei denen es den Befragten nicht bewusst war bzw. sie es nicht gemerkt haben, dass Informationen, mit denen sie zu tun hatten, womöglich falsch waren.

Weniger als die Hälfte der EU-Bürger:innen hat Informationen im Internet auf Wahrheitsgehalt überprüft

Die Verunsicherung ist groß, was den Wahrheitsgehalt von Informationen im Internet angeht und zugleich begegnen vielen Menschen häufig Desinformationen. Gleichzeitig überprüft nur eine Minderheit der von uns befragten EU-Bürger:innen Informationen im Internet auf ihren Wahrheitsgehalt. Gerade einmal 44 Prozent sagen, sie hätten dies schon mal getan. Noch weniger Befragte haben in der Vergangenheit Posts in Sozialen Medien aufgrund von Desinformationen gemeldet (22 Prozent) oder andere Nutzer:innen darauf hingewiesen (ebenfalls 22 Prozent). Informationen, die sich nachträglich als falsch herausgestellt haben, haben nach eigenen Angaben gerade einmal 11 Prozent der Befragten geteilt oder „geliked“. Auf den Umgang mit Desinformationen haben Alter und Bildung einen deutlichen Einfluss. Jüngere und gebildetere Befragte setzen sich aktiver mit Informationen auseinander. Mit steigendem Bildungsgrad ist auch der Anteil derjenigen höher, die Informationen überprüfen. Umgekehrt melden jüngere Befragte falsche Informationen eher und weisen auch andere stärker darauf hin.

 

Ambivalente Meinung zum Einfluss von Sozialen Medien auf die Demokratie

Trotz Verunsicherung und deutlicher Wahrnehmung von Desinformationen ist der Blick der EU-Bürger:innen auf die sozialen Medien gar nicht so negativ, wie man vermuten könnte. Während 28 Prozent diesen sogar einen positiven Einfluss auf die Demokratie bescheinigen, sagen 30 Prozent Soziale Medien  hätten negative Auswirkungen. Für die relative Mehrheit von 42 Prozent haben soziale Medien sowohl Licht- als auch Schattenseiten.

 

Was muss getan werden, um Desinformationen zu bekämpfen?

Handlungsempfehlungen

Aus den Ergebnissen unserer Studie haben wir vier zentrale Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung von Desinformationen abgeleitet:

  • Ein systematisches Monitoring des Phänomens Desinformation in Deutschland und Europa sicherstellen. Es ist ein Massenphänomen, von dem bislang nur die Spitze des Eisbergs zu erkennen ist. Nur wenn sichergestellt ist, dass vertrauensvolle und kompetente Stellen flächendeckendes Monitoring betreiben, lassen sich das Ausmaß und die Wirkungsweise von Desinformationen verlässlich abschätzen.
  • Breite der Bevölkerung für das Thema Desinformation sensibilisieren. Die Studie hat gezeigt, dass es ein großes Maß an Verunsicherung im Zusammenhang mit Desinformationen in der Bevölkerung besteht. Die Aufgabe besteht darin, mehr Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und Angebote zu unterbreiten, wie sich die Bürger:innen verlässlich informieren können.
  • Medien- und Nachrichtenkompetenz für alle Generationen vermitteln. Veränderte Medienangebote und Mediennutzung sind zum einen ein Gewinn für die Informationsvielfalt, bedeuten zum anderen aber auch eine größere Herausforderung. Vertrauenswürdige Quellen von verdächtigen Absendern zu unterscheiden, Meinungen von Fakten zu trennen und zu erkennen, wo möglicherweise Informationen falsch oder verzerrt dargestellt werden, sind essenzielle Kompetenzen, die möglichst viele Menschen beherrschen sollten.
  • Konsequente und transparente Inhaltsmoderation auf digitalen Plattformen sicherstellen. Den Betreibern digitaler Plattformen kommt eine besondere Verantwortung zu. Falsche Informationen auf den Plattformen zu entdecken, zu markieren, idealerweise richtigzustellen oder zu entfernen sowie bei kritischen Themen zu gewährleisten, dass verlässliche Informationen leicht aufzufinden sind, gehört zu ihren zentralen Aufgaben.

Die komplette Studie kann hier heruntergeladen werden. Die Pressemeldung zur Studie gibt es hier.


Dr. Kai Unzicker

Dr. Kai Unzicker

Co-Lead

Dr. Kai Unzicker ist als Senior Project Manager im Programm „Demokratie und Zusammenhalt“ der Bertelsmann Stiftung tätig. Er ist Co-Leiter des Projekts „Upgrade Democracy“, das sich mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Demokratie befasst. Zuvor hat er seit 2011 für die Bertelsmann Stiftung das „Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt“ entwickelt. In zahlreichen Studien hat er gesellschaftliche Veränderungen im internationalen Vergleich, in Deutschland und auf regionaler und lokaler Ebene untersucht. Für die Themen Zusammenhalt, Vertrauen, Gerechtigkeit und Solidarität sowie neuerdings Desinformation ist er als Experte in den Medien und Speaker bei Veranstaltungen gefragt. Er ist einer der Sprecher der „Allianz für gesellschaftlichen Zusammenhalt“, einem Zusammenschluss von mehreren Stiftungen, die sich in ihrer Arbeit auf unterschiedliche Art und Weise mit der Stärkung des Zusammenhalts in Deutschland befassen. 2018 hat er als Projektleiter den Reinhard Mohn Preis zum Thema „Vielfalt leben – Gesellschaft gestalten“ verantwortet. Von 2004 bis 2011 war er als Wissenschaftler am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld tätig. Kai Unzicker hat von 1998 bis 2004 Soziologie, Psychologie und Philosophie an der Philipps-Universität Marburg studiert.

Weitere Informationen, u.a. zu Publikationen und Projekten finden sich auf der Website der Bertelsmann Stiftung: Profil von Dr. Kai Unzicker

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