Nachrichtenkompetenz: Stark gegen Desinformation

Julia Tegeler

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Um Desinformation einzudämmen, ist die Nachrichtenkompetenz der Mediennutzenden entscheidend. Sie in der Bevölkerung zu stärken, erfordert mehr Anstrengungen als bisher. Niedrigschwellige und alltagsnahe Bildungsangebote – wie wir sie im Modellprojekt faktenstark erprobt haben – und eine engere Zusammenarbeit der Akteur:innen bieten gute Ansätze.

Nachrichtenkompetenz: Warum sie wichtig ist und wo es hakt

Wie gut Menschen die Qualität und Zuverlässigkeit digitaler Informationen beurteilen können, beeinflusst, welchen Inhalten sie vertrauen und auf welcher Grundlage sie sich eine Meinung bilden. Wer Desinformationen eindämmen will, sollte daher auch die digitale Nachrichten- und Informationskompetenz der Bürger:innen in den Blick nehmen. Sie umfasst ein Bündel an Fähigkeiten, die es ermöglichen an demokratisch-digitalen Öffentlichkeiten teilzuhaben: Wer nachrichtenkompetent ist, versteht, welche Rolle digitale Öffentlichkeiten für die Demokratie spielen und wie sie funktionieren. Er oder sie ist in der Lage, den eigenen Informationsbedarf zu erkennen, digitale Informationen zu recherchieren und ihre Relevanz, Zuverlässigkeit und Intention zu beurteilen. Des weiteren ist er oder sie fähig, sich inhaltlich mit den Informationen auseinanderzusetzen, sie weiterzuarbeiten, zu kommentieren oder zu teilen. In Deutschland, und anderen europäischen Ländern, ist die Nachrichtenkompetenz in der Bevölkerung eher gering ausgeprägt und variiert stark nach Alter, Bildungsniveau und Mediennutzungsverhalten. Auch politische Einstellungen und Werthaltungen beeinflussen, wie Nachrichten konsumiert und bewertet werden. Eine Studie der Stiftung Neue Verantwortung konstatiert, „dass Bürger:innen viel zu lange damit allein gelassen wurden, sich in immer komplexeren Medienumgebungen selbst zurechtzufinden.“ Zwar gibt es weltweit viele gute Initiativen und vielversprechende Ansätze zur Förderung digitaler Nachrichtenkompetenz, doch deren Wirkung bleibt oft begrenzt. Das hat mehrere Gründe:

  • Schwer erreichbare Zielgruppen: Bestimmte Zielgruppen – wie Erwachsene im Allgemeinen, ältere Menschen, Personen mit geringer Bildung – sind schwer zu erreichen. Aus diesem Grund konzentrieren sich viele Angebote auf Kinder und Jugendliche, während Erwachsene noch oft vernachlässigt werden.
  • Begrenzte Ressourcen: Die Bildungsarbeit leidet unter knappen Ressourcen, prekären Arbeitsbedingungen und oft zeitlich begrenzten Förderungen. Dies erschwert die nachhaltige Etablierung bewährter Konzepte und schränkt ihre flächendeckende Anwendung ein.
  • Höhere Anforderungen durch digitale Öffentlichkeiten: Digitale Öffentlichkeiten stellen höhere Anforderungen an die Medienkompetenz des Einzelnen, weil nutzergenerierte Inhalte professionell aufbereitete und geprüfte Informationen verdrängen. Nicht alle Informationen werden noch von Journalist:innen aufbereitet und eingeordnet. Stattdessen muss jede:r Mediennutzende selbst entscheiden, welche Informationen vertrauenswürdig sind, welche er oder sie glauben, konsumieren oder teilen will.
  • Unzureichende Konzepte: Viele Bildungsangebote greifen konzeptionell noch zu kurz. Die Vermittlung von Skills zur Überprüfung und Bewertung von Informationen ist zwar wichtig. Damit Bürger:innen den demokratiegefährdenden Einflüssen von Desinformationen etwas entgegensetzen können, braucht es aber mehr: neben Strategien zur Selbsthilfe, auch technologische, soziale und kognitive Fähigkeiten sowie Demokratiekompetenz.

Vier Handlungsfelder zur Stärkung von Nachrichtenkompetenz

Um diese Herausforderungen anzugehen, sollten Initiativen zur Stärkung digitaler Nachrichten- und Informationskompetenz vier Handlungsfelder stärker in den Blick nehmen.

  1. Vielfältige und alltagsnahe Angebote schaffen, um möglichst viele Menschen zu erreichen

Um möglichst viele Menschen zu erreichen, braucht es vielfältige Bildungsangebote: von niedrigschwelligen Informationsveranstaltungen über Bildungsworkshops für eine breite Zielgruppe bis hin zu Digital Streetwork oder vertiefenden Schulungen für spezifische Gruppen. Die Angebote sollten alltagsrelevante Inhalte vermitteln und im Alltag stattfinden. Gerade schwer erreichbare Zielgruppen wie Geringgebildete, ältere Menschen oder Personen mit geringem Medienvertrauen können an Orten angesprochen werden, die sie regelmäßig besuchen, wie Gemeindezentren, Arbeitsplätze, Vereine oder Freizeitstätten. Die Zusammenarbeit mit sozialen Einrichtungen, Arbeitgeber:innen, lokalen Initiativen oder Stadtbibliotheken ist entscheidend, um die Menschen im Alltag zu erreichen. In unserem Modellprojekt faktenstark haben wir Workshops zum Umgang mit Desinformation an verschiedenen Orten durchgeführt. Wir waren in Berufsschulen, auf Bildungstagen im Freiwilligendienst, in Vereinen, Stadtbibliotheken, bei Gewerkschaften und Wohlfahrtverbänden und sogar im Brauhaus. Dadurch konnten wir unterschiedliche Zielgruppen erreichen: von Auszubildenden und Freiwilligendienstler:innen, über Mitarbeiter:innen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, ehrenamtlich engagierten Bürger:innen, Lokalpolitiker:innen bis hin zu Renter:innen. Mittels eines modularen Konzepts haben wir die Workshops im zeitlichen Umfang und in der inhaltlichen Tiefe an die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe angepasst. Mit solchen niedrigschwelligen Bildungsangeboten können erfahrungsgemäß vor allem die vielen Menschen erreicht und gestärkt werden, die grundsätzlich Vertrauen in die Demokratie haben und sich fragen, was sie tun können, wenn sie im Internet oder im eigenen Umfeld auf Desinformationen stoßen.

Um Erwachsene im Allgemeinen zu erreichen, sollten entsprechende Bildungsangebote auch noch mehr in die berufliche Weiterbildung integriert werden. Das Programm des Business Council für Democracy ist dafür ein gelungenes Beispiel. Für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und die Zielgruppe der pädagogischen Fachkräfte wiederum gibt es viele gute Materialien und Weiterbildungsangebote u.a. von Initiativen wie klicksafe, klickwinkel oder weitklick und auch unseren beiden faktenstark-Kooperationspartner:innen codetekt und Amadeu Antonio Stiftung.

  1. Ressourcen bündeln, um Nachhaltigkeit und Reichweite zu verbessern

Kollaboration kann eine Antwort auf begrenzte Ressourcen sein: Zahlreiche nationale und internationale Initiativen und Projekte verfolgen ähnliche Ziele und haben effektive Ansätze entwickelt. Und doch arbeiten sie oft parallel – unter anderem, weil im Arbeitsalltag die Zeit für Austausch und die Anbahnung von Kooperationen fehlt. Gerade aber durch eine stärkere Zusammenarbeit können Kräfte gebündelt und Synergien geschaffen werden. Erfolgreiche Ansätze könnten kombiniert, skaliert und nachhaltiger in bestehende Strukturen integriert werden. Durch ein koordiniertes Vorgehen können Bildungseinrichtungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen, Medienunternehmen und politische Entscheidungsträger:innen jeweils ihre Stärken einbringen. Ziel sollte sein, mit vereinten Kräften und einem koordinierten Vorgehen wirkungsvolle Ansätze zur Stärkung von Nachrichtenkompetenz in die Breite zu tragen und sie nachhaltig in bestehenden Strukturen zu verankern. Bei faktenstark beispielsweise haben drei unterschiedliche Kooperationspartner:innen ihre Kräfte gebündelt. So konnten wir technisches Know How zur Entwicklung digitaler Tools wie unser Trust-O-Mat und unser Chat-Bot Klaro nutzen, aber ebenso medienpädagogisches Fachwissen und eine umfassende Expertise der politischen Bildungsarbeit. Für die Kommunikation des Projekts und die Umsetzung von Workshops konnten wir so zudem auf unterschiedliche Netzwerke zurückgreifen.auf unterschiedliche Netzwerke zurückgreifen.

  1. Strategien zur Selbsthilfe vermitteln, um Kompetenzen im Umgang mit Desinformationen zu stärken

Mediennutzenden sollten Strategien vermittelt werden, mit denen sie im Alltag selbst die Vertrauenswürdigkeit von Informationen beurteilen und manipulative Inhalte erkennen können. Ansätze wie Trust-Checking und Prebunking sind hier vielversprechend. In unseren faktenstark-Workshops haben wir daher auch mit beiden Ansätzen gearbeitet, um die Teilnehmenden im Umgang mit Desinformation zu stärken. Trust-Checking ermöglicht es Mediennutzenden, anhand journalistischer Qualitätskriterien die Glaubwürdigkeit von Informationen schnell und möglichst objektiv zu bewerten. Dabei werden Aspekte wie Quellenangaben, Inhalt, Medium, Zitate und visuelle Darstellungen überprüft. Mit unserem Trust-O-Mat von faktenstark kann man das Trust-Checking auch selbst an echten Beispielen ausprobieren und üben. Auch der Newstest der Bundeszentrale für Politische Bildung vermittelt nützliches Knowhow zum Bewerten und Prüfen von Informationen. Prebunking zielt darauf ab, Menschen über die Funktionsweisen von Desinformation im Vorfeld aufzuklären. Die Idee ist, Mediennutzende gegen Desinformationen „zu impfen“ und so eine Immunität aufzubauen, noch bevor sie mit konkreten Fällen in Berührung kommen. Dafür klärt Prebunking über typische manipulative Techniken und irreführende Narrative auf, so dass Menschen danach erkennen können, wenn Informationen auf solchen Narrativen basieren oder bestimmte rhetorische Muster enthalten. Wie wirksam Prebunking ist, wird noch diskutiert. Letztlich empfiehlt es sich auch in der Bildungsarbeit zum Umgang mit Desinformation auf Methodenvielfalt zu setzen und verschiedene Strategien zu vermitteln. Dies ist nicht nur Aufgabe von Bildungseinrichtungen oder zivilgesellschaftlichen Initiativen. Auch die Medien können einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie journalistische Qualitätskriterien erklären und zeigen, wie sie Informationen recherchieren, prüfen und aufbereiten. Besonders vielversprechend sind kollaborative Ansätze, bei denen Akteure aus Medien, Bildung und Forschung zusammenarbeiten, wie beispielweise die Initiative „UseTheNews“ zur Förderung der Nachrichtenkompetenz im digitalen Zeitalter.

  1. Nachrichten- und Demokratiekompetenz zusammendenken, um echte Resilienz zu stärken

Mediennutzenden Strategien zur Überprüfung und Einschätzung von Informationen zu vermitteln, ist ein wichtiger erster Schritt. Doch dies allein reicht nicht aus, um den demokratiegefährdenden Einfluss von Desinformation zu bekämpfen. Bildungsangebote sollten nicht nur Skills vermitteln, sondern auch zur Auseinandersetzung mit dem Thema „Desinformation“ anregen und ein Verständnis für das Ökosystem der Desinformation schaffen. Es gilt, die Strukturen, Ziele, Strategien und Wirkungsweisen von Desinformationen zu verstehen und die Gründe zu beleuchten, warum viele Menschen ihnen glauben. Dies ist auch ein zentraler Aspekt in der Bildungsarbeit in unserem Pilotproket faktenstark: In den Workshops vermitteln wir nicht nur konkrete Strategien zum Umgang mit Desinformation – wie Trust-Checking –, sondern betrachten Desinformation umfassender, insbesondere mit Blick auf die Demokratie.

Ein weiterer Aspekt, der in der Bildungsarbeit gegen Desinformation wichtig ist, ist die Förderung demokratischer Grundhaltungen und Kompetenzen. Dazu gehört die Bereitschaft, sich über Politik zu informieren, die Wertschätzung von Meinungsfreiheit, freien Medien und Journalismus, das Grundvertrauen in die Demokratie und die Toleranz gegenüber anderen Meinungen. Wer sich regelmäßig über politische Entwicklungen informiert, kann Falschinformationen leichter erkennen. Wer die Meinungsfreiheit schätzt, erkennt die Bedeutung vielfältiger Informationen an und setzt sich eher mit unterschiedlichen Perspektiven auseinander. Dies hilft, voreilige Schlüsse zu vermeiden und Bestätigungsfehlern entgegenzuwirken.

Kurzum: Die Förderung von Nachrichtenkompetenz allein greift letztlich zu kurz. Es geht um die Stärkung von Demokratiekompetenz. Dies erfordert eine kontinuierliche und integrierte Bildungsarbeit und ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Neben den Bildungseinrichtungen sind hier Politik, Medien und Wirtschaft gefragt. Politiker:innen sollten nicht nur sachliche, faktenbasierte und faire Debatten führen, sondern gute Rahmenbedingungen für politische Bildung und demokratisches Engagement schaffen. Unternehmen können im Sinne von Corporate Democratic Responsibility Partizipation ermöglichen und Programme fördern, die kritisches Denken und gesellschaftliches Engagement unterstützen. Medien können über journalistische Formate aufklären („Was ist ein Kommentar?“, „Was zeichnet einen sachlichen Beitrag aus?“) oder journalistische Arbeitsweisen erläutern (Wie werden Nachrichten gesammelt, geprüft, präsentiert?). Diese Transparenz kann das Vertrauen in die Medien stärken und verdeutlichen, wie wichtig Qualitätsjournalismus für eine informierte Gesellschaft ist und dass er verlässlichere Informationen bietet als andere Quellen.

Fazit

Informations- und Nachrichtenkompetenz in der digitalen Gesellschaft ist entscheidend, um die Verbreitung von Desinformationen zu bekämpfen und den demokratischen Diskurs zu stärken. Die aktuellen Herausforderungen erfordern mehr Anstrengungen als bisher. Vielversprechende Ansätze dafür sind alltagsnahe und vielfältige Bildungsangebote, mehr Kollaboration, die Vermittlung von Selbsthilfe-Strategien und integrierte Ansätze, die Nachrichtenkompetenz als Bestandteil politischer Bildung versteh


Julia Tegeler

Julia Tegeler

Project Manager

Julia Tegeler ist Project Manager im Programm „Demokratie und Zusammenhalt“ der Bertelsmann Stiftung und arbeitet im Projekt „Upgrade Democracy“. Hier beschäftigt sie sich mit der Frage, wie demokratische Diskurse im digitalen Raum gestärkt werden können. Mit zivilgesellschaftlichen Partnern arbeitet sie daran, im Rahmen eines Modellprojekts einen praktischen Beitrag zum besseren Umgang mit Desinformationen im Netz zu leisten. Zuvor hat Julia Tegeler seit 2012 für die Bertelsmann Stiftung diverse Projekte zur Werte- und Demokratiebildung sowie zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts umgesetzt – unter anderem „TeamUp! Werte gemeinsam leben“, „Young Europeans´ Forum 2019“ und „Stendal besser machen“. Hier hat sie insbesondere Erfahrung in der Umsetzung, im Transfer und der Skalierung von Modellprojekten gesammelt. Vor der Arbeit bei der Bertelsmann Stiftung war sie als Projektmanagerin für die Qualität von Studium und Lehre an der Universität Bielefeld tätig, als hochschulpolitische Referentin der Landesrektorenkonferenz der Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen sowie als Lehrassistentin in der Abteilung Philosophie der Universität Bielefeld. Julia Tegeler hat an der Universität Bielefeld und University of Adelaide studiert und einen Magister in Philosophie und Germanistik.

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