Hausaufgaben nicht gemacht: Kleinere Online-Plattformen ohne Aufsicht

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Cathleen Berger, Charlotte Freihse

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Deutschland hat die Frist für die Umsetzung des Digitale-Dienste-Gesetzes gerissen. Mit 10 Wochen Verzug soll der Bundesrat nun am 26. April zustimmen. Hier klaffte nicht nur eine Regulierungslücke, sondern Chancen für eine konstruktive Gestaltung werden vertan.

Eigentlich wollte die Europäische Union in diesem Februar einen Haken hinter das politische Vorhaben einer besseren Regulierung von Online-Plattformen setzen. Der dafür maßgebliche Digital Services Act (DSA), also das Gesetz über digitale Dienste, ist bereits im Oktober 2022 in Kraft getreten und gilt unmittelbar in der gesamten Europäischen Union – muss also nicht durch ein eigenes nationales Gesetz umgesetzt werden. Gleichwohl sind eine Reihe ergänzender gesetzlicher Maßnahmen auf nationaler Ebene notwendig, in Deutschland bspw. die Einrichtung einer Koordinierungsstelle. Die Frist für diese Umsetzung lief am 17. Februar ab. Kein Mitgliedsland machte seine Hausaufgaben rechtzeitig – auch Deutschland nicht. Dabei hatte sich die EU mit diesem großen Vorhaben einiges auf die Fahnen geschrieben: Einen rechtlichen Rahmen für eine vertrauenswürdige digitale Welt zu schaffen, in der die in der EU-Charta verankerten Grundrechte wirksam geschützt, Hetze und Hassrede in die Schranken gewiesen werden.

Ein Kernelement der neuen EU-weiten Aufsicht sind zwei aufeinander angewiesene Ebenen: Die EU-Kommission ist für die sehr großen Online-Dienste (Very Large Online Platforms, VLOPs) mit mehr als 45 Millionen Nutzer:innen zuständig – wie YouTube, Facebook, Instagram oder TikTok. In dieser Rolle ist sie bereits tätig geworden und hat unter anderem Verfahren gegen X, vormals Twitter, aufgrund mangelnder Maßnahmen im Umgang mit Antisemitismus sowie TikTok wegen möglicher Suchtgefahr eines Belohnungsverfahren auf TikTok lite eingeleitet.

Die nationalen Aufsichtsbehörden sollen dafür verantwortlich sein, alle digitalen Vermittlungsdienste in ihrem Land zu überwachen. Und das sind einige, denn sie umfassen auch Internetzugangsdienste, Online-Marktplätze, Suchmaschinen sowie soziale Netzwerke – etwa nebenan.de, Snapchat und nicht zuletzt die Anwendungen im dezentralen Fediverse wie Mastodon oder Peertube. Zusammengenommen zählen diese Dienste ebenfalls mehrere Millionen Nutzer:innen.

Bundesnetzagentur soll als nationale Koordinierungsstelle agieren

Immerhin schließt Deutschland diese Lücke jetzt mit dem „Digitale-Dienste-Gesetz“, das im März dem Bundestag passierte. Am 26.4. soll nun der Bundesrat final zustimmen. Damit stünde fest, dass die Bundesnetzagentur die Rolle der nationalen Aufsichtsbehörde übernehmen und auch als zentrale Anlaufstelle für die Beschwerden von Nutzer:innen fungieren soll. Grundsätzlich begrüßen wir diese Entscheidung, weil so eine durchsetzungsstarke Aufsicht gewährleistet ist, zumal bei der Bundesnetzagentur bereits jetzt viele Aufgaben im Bereich digitaler Dienste gebündelt sind. Allerdings muss jetzt auch sichergestellt sein, dass die in dieser Behörde einzurichtende Koordinierungsstelle für digitale Dienste tatsächlich völlig unabhängig und weisungsfrei agieren kann, wie es der DSA fordert. Positiv hervorzuheben ist zudem, dass im vorliegenden Gesetzesentwurf die Beteiligung der Zivilgesellschaft in dem einzurichtenden Beirat gestärkt wurde.

In der Debatte darum, wie das Netz zu einem gesünderen, konstruktiveren und sicheren Raum für alle gestaltet werden kann, sind bislang fast ausschließlich die sehr großen Online-Plattformen im Blick. Es ist an der Zeit – und das aktuelle Gesetzgebungsverfahren liefert dafür einen Anlass – endlich den kleineren Plattformen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Nicht allein deswegen, weil bei ihnen ebenfalls eine kritische Beobachtung und klare Regeln vonnöten sind. Es geht auch darum, von ihren Erfolgen zu lernen und alternative Finanzierungsmöglichkeiten solcher Plattformen sicherzustellen, die nicht-kommerziell getrieben sind.

Das Potenzial kleinerer Plattformen künftig stärken

Denn: kleinere Plattformen sind häufig sehr viel näher dran an ihren Communities und im ständigen Austausch mit ihren Nutzer:innen und deswegen daran interessiert, beispielsweise Moderationspraktiken an unterschiedliche Bedürfnisse anzupassen und Neues auszuprobieren. Zudem zeigt das dezentral organisierte Fediverse, wie es gelingen kann, dass unterschiedliche technische Instanzen (Plattformanbieter) jeweils eigene Verhaltensregeln pflegen, aber miteinander kommunizieren können. Die großen kommerziellen Anbieter haben daran bislang wenig bis kein Interesse, weil sie Nutzer:innen (und ihre Daten) in ihrem eigenen Universum halten wollen.

Aus unserer Sicht ist es daher dringend geboten, dezentral-vernetzte Alternativen öffentlich zu fördern und so den Konzentrationstendenzen in der Plattformökonomie Schranken zu setzen. Das wäre auch wichtig, um Hürden für kleinere Plattformen zu senken und Anreize für zivilgesellschaftliches Engagement und somit den Ausbau gemeinwohlorientierter Netzwerke zu schaffen.

Beispielsweise könnte gesetzlich verankert werden, dass große Plattformen technische Unterstützung für die Inhaltsmoderation auf Open-Source-Basis zur Verfügung stellen, was den Kostenaufwand für nicht-kommerzielle Plattformen deutlich senken würde. Im Gegenzug könnten die Großen von dem Austausch auf den kleineren Plattformen und den Erfahrungen mit aktivierenden Moderationstechniken lernen. Das käme einem konstruktiven digitalen Diskurs in allen Foren zugute.

Überdies sollte bei allen Regelungen des Digitale-Dienste-Gesetzes genau hingesehen werden, was deren Umsetzung für ehrenamtliche Autor:innen-Communities bedeutet. So ist die Einrichtung eines Beschwerdemanagements und das Verfassen von Transparenzberichten mit nicht unerheblichem Ressourceneinsatz verbunden. Nachvollziehbare Transparenzanforderungen und die Gewährleistung von Verbraucher:innenrechten dürfen nicht dazu führen, dass der zivilgesellschaftliche Einsatz für eine diverse und demokratische Netzwelt ausgebremst wird.

Deutschland kann hier mit gutem Beispiel vorangehen — zunächst sind aber die Hausaufgaben überfällig. Sobald die Gesetzeslage diese Woche endlich final geklärt ist, kann in einem stakeholderübergreifenden Beirat gemeinsam an einer proaktiven, nicht rein reaktiven Ausgestaltung eines gesunden digitalen Raumes gearbeitet werden – quasi der DSA 2.0.


Cathleen Berger

Cathleen Berger

Co-Lead

Cathleen Bergers berufliche Erfahrung erstreckt sich über verschiedene Sektoren: Wissenschaft, Regierung, Zivilgesellschaft, Unternehmen und Startup. Ihre Arbeit und Forschung konzentrieren sich auf die Schnittstellen zwischen digitalen Technologien, Nachhaltigkeit und sozialer Wirkung. Sie arbeitet derzeit mit der Bertelsmann Stiftung als Co-Leiterin für Upgrade Democracy sowie den Reinhard Mohn Preis 2024 und Senior Expert für Zukunftstechnologien und Nachhaltigkeit. Darüber hinaus, berät und arbeitet sie gelegentlich mit gemeinwohlorientierten Unternehmen und Organisationen an ihren Klima- und sozialen Wirkungsstrategien.

Zuletzt verantwortete sie den B Corporation Zertifizierungsprozess eines jungen Klimastartups, initiierte und leitete Mozillas Nachhaltigkeitsprogramm, arbeitete als Referentin im Koordinierungsstab für Cyber-Außenpolitik im Auswärtigen Amt, als Beraterin mit Global Partners Digital, Forschungsassistentin in der Stiftung Wissenschaft und Politik sowie Gastdozentin an der Friedrich Schiller Universität Jena.

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Charlotte Freihse

Charlotte Freihse

Project Manager

Charlotte Freihse ist Projekt Managerin im Projekt „Upgrade Democracy“ der Bertelsmann Stiftung und beschäftigt sich dort vor allem mit Platform Governance und Desinformation sowie den Auswirkungen digitaler Technologien auf öffentliche Meinungsbildung und Diskurs. Vor ihrer Zeit in der Stiftung war sie freie Mitarbeiterin in der Nachrichtenredaktion des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Parallel dazu war sie Forschungsassistentin im europäischen Forschungsprojekt NETHATE und entwickelte mit der Universität Jena und mit Das NETTZ ein Kategorisierungssystem für Interventionsmaßnahmen gegen online Hassrede. Charlotte hat einen Master in Friedens- und Konfliktforschung mit einem Fokus auf digitalen Technologien in Konflikten sowie Friedensprozessen.
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