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Wie unterschiedlich US-amerikanische und chinesische Social-Media-Plattformen in Brasilien agieren

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    Platform Governance

Virginia Kirst

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Brasilianische Fact-Checker:innen berichten, dass die Herkunft der Unternehmen hinter Social-Media-Plattformen beeinflusst, wie sie mit Des- und Misinformationen umgehen – und welche besorgniserregenden Auswirkungen das auf die Demokratie haben kann.

Ein Bericht des Investigativ-Magazins Piauí hat im Januar 2024 die brasilianische Fact-Checking-Szene elektrisiert. Denn Autor Pedro Pannunzio enthüllt darin, was viele Journalist:innen bereits vermutet hatten: Dass die chinesische Social-Media-Plattform Kwai absichtlich Des- und Misinformationen zu politischen Themen verbreitet, um mehr Nutzer:innen zu gewinnen. Kwai, das zu dem chinesischen Kuaisho-Konzern gehört, setzt ähnlich wie TikTok auf nutzergenerierte Kurz-Videos und Live-Streams. Die Plattform ist in Brasilien seit knapp drei Jahren aktiv und auf den Smartphones von rund 30 Prozent der Brasilianer:innen präsent. Damit ist das südamerikanische Land der größte Markt der Plattform.

Kwai im Visier von Fact-Checker:innen und der Staatsanwaltschaft

Nun steht Kwai jedoch nicht nur im Fokus von Fact-Checker:innen und Investigativ-Journalist:innen, sondern auch in jenem der brasilianischen Staatsanwaltschaft. Sie hat Ermittlungen gegen das Unternehmen wegen Verstößen gegen das Wahlrecht aufgenommen. Denn in Brasilien ist es illegal, Desinformationen zur Wahl zu verbreiten. „Der Artikel von Piauí hat die Vermutungen bestätigt, die viele von uns bereits hatten“, sagt Investigativ-Journalistin Laís Martins. Diese Vermutung besagt, dass Kwai jedes Mittel Recht ist, um möglichst viele Nutzer:innen auf die Plattform zu locken und sie dort zu binden. Und dass diese Mittel gefährlich für die Demokratie werden können. Denn dass das Verhalten der Social-Media-Unternehmen einen Einfluss auf den Zustand der brasilianischen Demokratie hat, steht fest: „Die Social-Media-Plattformen stellen in Brasilien, genau wie in anderen Teilen der Welt, mittlerweile die Infrastruktur des öffentlichen Diskurses“, erklärt Iná Jost, die zum Thema Meinungsfreiheit beim Think Tank Internetlab in Sao Paolo forscht.

Nun zeigt der Piauí-Artikel den negativen Einfluss, den die Plattformen auf den öffentlichen Diskurs haben im Detail: So deckt er anhand von internen Dokumenten und Gesprächen mit anonymen Mitarbeitenden auf, dass Kwai ein externes Unternehmen damit beauftragt hat, Inhalte zu erstellen, die viral gehen sollen. Darauf, dass diese Inhalte faktisch korrekt sind, legt Kwai offenbar keinen Wert. Denn laut dem Artikel zeigt, sind gezielt politische Videos weiterverbreitet werden, die nachweislich falsche Informationen enthalten.

Diese Art von Videos auf Piauí kommt den Investigativ-Journalist:innen bekannt vor. Denn auch im Umfeld der Präsidentschaftswahl 2022 wurden dort Videos verbreitet, die etwa fälschlicherweise behaupteten, dass der damalige linke Präsidentschaftskandidat Luiz Inácio Lula da Silva hinter einem Anschlag auf den amtierenden rechten Präsidenten Jair Bolsonaro stecke oder in denen Ein Bolsonaro-Anhänger zum Mord an Richtern des Obersten Gerichtshofs aufrief. „Da sich bei Kwai besonders viele Anhänger von Bolsonaro versammeln, funktionieren diese Videos gut, darum verbreitet die Plattform sie gezielt“, sagt Martins. Dass es den Kwai darum ging, den Wahlausgang in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen, glaubt sie indes nicht. Wahrscheinlich ist jedoch, dass diese Videos dazu beigetragen haben, die Stimmung im Land so weit anzuheizen, dass sie sich schließlich in den Ausschreitungen vom 8. Januar 2023 entlud, bei denen Bolsonaro-Anhänger:innen aus Frust über das Wahlergebnis Regierungsgebäude in der Hauptstadt Brasília angriffen.

Der brasilianische Markt ist lukrativ

Interessant sind indes auch die Unterschiede, die die Investigativ-Journailst:innen und Fact-Checker:innen bei chinesischen Social-Media-Plattformen im Vergleich zu US-amerikanischen ausgemacht haben. Demnach sind beide Gruppen äußerst interessiert daran, den brasilianischen Markt zu erschließen – immerhin handelt es sich mit rund 219 Millionen Einwohner:innen um das größte Land Lateinamerikas. „Doch während die US-Plattformen wenigstens so tun, als seien sie neben ihren unternehmerischen Zielen auch am Erhalt der Demokratie interessiert, ist den chinesischen Plattformen jedes Mittel Recht, um einen größeren Marktanteil zu erreichen“, sagt ein Branchenkenner, der nicht namentlich zitiert werden will.

Entsprechend unterschiedlich gehen die Plattformen mit Hinweisen auf Desinformation um, wie Alexandre Aragão, leitender Redakteur bei der Fact-Checking-Organisation Aos Fatos erklärt. Aos Fatos unterhält Fact-Checking-Partnerschaften mit Meta, Kwai und Telegram und kontrolliert alle großen Social-Media-Plattformen in Brasilien, um die Unternehmen auf Desinformationen hinzuweisen, die auf ihren Plattformen zirkulieren, damit diese sie entfernen können. Die Betreiber:innen reagieren jedoch unterschiedlich auf die Hinweise: „Chinesische Plattformen wie TikTok und Kwai haben ihre Kommunikationsteams in Brasilien ausgebaut und tendieren dazu, Inhalte zu löschen“, sagt Aragão. US-Plattformen hingegen, vor allem die der Meta-Gruppe, hätten einen Teil ihrer Vertrauens- und Sicherheitsteams entlassen und täten sich schwerer damit, Inhalte zu entfernen, die in die Grauzonen ihrer Richtlinien fallen. „Während es bei den chinesischen Plattformen augenscheinlich nur darum geht, ob etwas schlecht fürs Geschäft sein könnte, geht es Meta darum, interne Prozesse einzuhalten“, sagt Aragão.

Marktmacht an Verantwortung knüpfen

Diese Dynamiken in Brasilien zu verstehen, ist indes nicht nur für den nationalen Kontext relevant. Denn die Plattformen sind auch in anderen lateinamerikanischen Ländern präsent und nehmen dort zentrale Rollen ein. So hat Kwai auch in Peru und Kolumbien relevante Marktanteile. Und in Bolivien spielt sich ebenfalls der Großteil des öffentlichen Diskurses auf Social-Media-Plattformen ab. Doch im Gegensatz zu Brasilien haben die Akteure in diesen Ländern größere Schwierigkeiten, in einen Dialog mit den Plattformen zu treten, weil diese oftmals keine Büros in den Ländern unterhalten und daher schwierig bis unmöglich zu erreichen sind.


Virginia Kirst

Virginia Kirst

Freie Journalistin

Ich arbeite als freie Journalistin zwischen Rom und Hamburg. Meine Spezialität ist, die römische Politik zu entwirren und zu zeigen, welche Folgen sie haben wird – für Berlin, Bern, Brüssel und Wien. Als Auslandskorrespondentin schreibe ich Analysen, Berichte, Interviews und Reportagen für Zeitungen, Magazine und Webseiten. Außerdem berichte ich im Live-Fernsehen über aktuelle Ereignisse und werde als Italien-Kennerin ins Fernsehen, ins Radio und zu Podcasts eingeladen.

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